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© dpa

Kino: "Schande": Schuld und Sühne in Südafrika

Der Thriller "Schande" erzählt von der Zeit nach der Apartheid, der Angst der Weißen vor den Schwarzen und von einem scheiternden Professor, der seine Studenten verführt. Für Tierfreunde ist der Film nichts.

Die Angst ist allgegenwärtig. Sie lauert hinter Gittern, Stahltüren und Alarmanlagen, mit denen sich die Menschen verbarrikadieren. Sie zeigt sich in ihren Gesichtern, in Gesten und Blicken. Sie kriecht durch Ritzen und lauert an jeder Ecke. Wer mit seinem Auto zur falschen Zeit in der falschen Gegend vor einer roten Ampel wartet, muss damit rechnen, überfallen zu werden. Der Motorradfahrer, der plötzlich neben dem Wagen auftaucht, seinen von einem blickdichten Helm geschützten Kopf herüberdreht und dabei aussieht wie ein großes, unheimliches Insekt, könnte eine Waffe ziehen. Fünf, sechs Sekunden vergehen, bis die Ampel auf grün springt. Eine kleine Ewigkeit. Dann braust das Motorrad davon.

„Schande“, die Verfilmung des gleichnamigen, 1999 erschienenen Romans von Literatur-Nobelpreisträger J. M. Coetzee, spielt im Südafrika der Post-Apartheid. Die Weißen fürchten sich vor den Schwarzen und schämen sich gleichzeitig für ihre Furcht. Denn die Angst ist der Preis, den sie für die Verbrechen der Vergangenheit zu zahlen haben. „Es ist nirgends sicher. Zu viele Leute, die auf Ärger aus sind“, sagt gleich am Anfang eine Frauenstimme aus dem Off. Sie gehört einer schwarzen Prostituierten, gerichtet sind ihre Worte an einen weißen Kunden.

Der Professor kauft sich körperliche Liebe, manchmal verführt er eine Studentin

David Lurie hat sich in seiner Einsamkeit eingepanzert. Er unterrichtet Literatur an der Universität von Kapstadt und lebt nach seiner Scheidung das zweite Junggesellenleben eines gut bezahlten Akademikers in einer Luxuswohnung mit den obligatorischen Bücherregalen und Weinvorräten. Nichts scheint ihn noch berühren zu können. „Für einen Mann seines Alters, 52, hat er seiner Meinung nach das Problem des Sex sehr gut gelöst“, heißt es bei Coetzee. Der Professor kauft sich körperliche Liebe, manchmal nutzt er auch seine Stellung aus, um eine Studentin zu verführen.

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Der Blues des weißen Mannes. John Malkovich als scheiternder Professor. -

© Alamode

John Malkovich bietet die ganze Oberflächenglätte seiner Schauspielkunst auf, um diesen aasigen Kontrollfreak zu porträtieren, mit dem man in seiner emotionalen Erloschenheit beinahe Mitleid hat. Kälte umgibt ihn, seine Bewegungen wirken wie abgezirkelt. Wenn er im Hörsaal aus einem Luzifer-Poem von Lord Byron – dem Idol des Anglisten, in dessen Leben er sein eigenes Scheitern vorgezeichnet findet – rezitiert, scheint er jede Silbe einzeln abzuschmecken: „Ein innerer Trieb drängte ihn zu tun, was außer ihm kein anderer tat.“ Er sieht sich als „Diener des Eros“, nicht haftbar für seine Hormone.

Aus dem Campusdrama wird ein Thriller

Professor Lurie fällt tief, wie Luzifer, er muss seinen Lehrstuhl, seinen Ruf und beinahe sein Leben verlieren, um Erlösung zu finden. Eine Affäre mit einer schwarzen Studentin fliegt auf, Kamerateams stürzen sich auf den Sexisten, er wird beschimpft und muss sich vor einem akademischen Strafgericht rechtfertigen. Das alles lässt er emotionslos über sich ergehen, statt seine Schuld zu bekennen, ist er nur zu einem Lippenbekenntnis bereit: „Sprechen Sie Ihr Urteil, dann können wir nach Hause gehen.“ Anschließend quittiert er den Dienst und bricht auf zu seiner erwachsenen Tochter, die im grandios fotografierten Hinterland – azurblau wölbt sich der Himmel über dem Tafelberg – eine kleine Farm betreibt.

Aus dem Campusdrama wird ein Thriller, aus der Psychostudie eine Parabel über Hass und Rache. Spiegelverkehrt wiederholt sich in der Provinz das, was in der Großstadt geschah. Sehr viel brutaler diesmal, mit schwarzen Tätern und weißem Opfer. Aber lassen sich Täter und Opfer überhaupt so klar voneinander unterscheiden in einer von der Vergangenheit traumatisierten Gesellschaft?

Als die von Jessica Haines gespielte Tochter überfallen und vergewaltigt wird, kann der Vater ihr nicht helfen. Eingesperrt in einem dunklen Raum hört er die Schüsse der marodierenden Angreifer und erwartet seine Hinrichtung. Sie übergießen ihn mit Spiritus und zünden ihn an. Er kommt mit dem Leben davon, seine Läuterung beginnt. Der australische Regisseur Steve Jacobs hält sich eng an Coetzees Roman, manchmal zu eng. Die symbolisch überladene Handlung übersetzt er in kühle Bilder, die elegant ineinandergleiten. Coetzees Text steckt voller Verweise. Nebenfiguren heißen bei ihm Petrus und Pollux, auf der Leinwand wirkt das etwas überspannt. Übrigens sterben viele Hunde in diesem Film. Tierfreunden muss man eher abraten von „Schande“.

- Babylon Mitte, Capitol. CinemaxX Potsdamer Platz, Filmkunst 66, Kulturbrauerei, New York, OmU im fsk.

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