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© Film Kino Text

''Lady Chatterley'': Liebe leuchtet

Kostüm, Körper, Seele: "Lady Chatterley“, Pascale Ferrans gefeierte Literaturverfilmung ist ein hinreißender Historienfilm – und eine radikal moderne Beziehungsstudie.

Sie stehen einander gegenüber wie Objekte einer Versuchsanordnung, er im Hemd, sie ohne Jackett, in kurzärmeliger Bluse. „Sie dürfen mich jetzt berühren“, sagt er. Sagt es herausfordernd, fordernd auch. Ein Missverständnis steht im Raum, eine Missstimmung – sein Verdacht, sie habe nur einen Vater für ihr Kind gesucht, habe nur ein Herrschaftsverhältnis ausgenutzt, hier Lady, dort Diener. Und sie hat bekannt, dass sie sich fürchtet. „Mir gefällt Ihr Körper“, hat sie gesagt. Weiß er, was es für sie bedeutet, das auszusprechen?

Doch als dann ihre Hand zart erkundend über sein Gesicht streicht, über seine Lippen, seinen Rücken, forschend weiter nach unten wandert, da geht es schon nicht mehr um Beweise und Mutproben. Auch nicht um Erregung: Gerade in dem Moment, in dem Pascale Ferrans Literaturverfilmung von D. H. Lawrences Skandalroman „Lady Chatterley“ die größte Gefahr läuft, zur Pornografie zu werden, gelingt ihr die zärtlichste, zurückhaltendste, schönste Liebesszene.

Nicht leicht für die beiden Protagonisten, das ohne Peinlichkeit zu spielen. Auch die nächste Szene nicht, in der das Glück vollkommen ist. Es regnet, ein warmer Sommerregen, und die so sorgfältig in Rock und Unterrock, Hut und Mantel verpackte Lady Chatterley fühlt sich frei: „Ich habe Lust, nackt durch den Regen zu laufen“, erklärt sie, und bald tollen beide nackt durchs Gras, jagen durch den Wald, rollen sich im nassen Laub. Und schmücken sich, vorm Kamin trocknend, gegenseitig mit Blumen: eine Blume für den Bauchnabel, eine wie einen Ring zwischen die Finger, eine ins dichte Schamhaar, und einen Laubkranz ins Haar. Kinderspiele, Kindergesten, eine kindliche Freude auch am Entdecken des anderen Körpers. Peinlich, für Erwachsene? Nein, leuchtend, zärtlich, zauberhaft.

„Anmut und Lächerlichkeit sind nie weit voneinander entfernt“, sagt Regisseurin Pascale Ferran dazu. „Die Situation zeigt, dass ,ein Paar sein’ auch heißen kann, manchmal zusammen kindisch zu sein.“ Es ist die große Qualität ihres Films, dass sie ihren Protagonisten dieses Kindischsein gestattet, das pure Anmut ist – und eine Freude an Körperlichkeit, die den Stoff weit über einen Historienfilm hinaushebt.

Die Geschichte der Connie Chatterley, die an der Seite ihres kriegsversehrten Ehemanns vereinsamt und aus der Begegnung mit dem Wildhüter Parkin neuen Lebensmut zieht, mag zeitgebunden sein – mit all den Strumpfbändern und langen Nachthemden, Unterröcken, Umschlagtüchern, Hüten und Hutnadeln. Auch die Schilderung der Entdeckung des männlichen Körpers und der eigenen Lust mag von der englischen Gesellschaft der Zwanziger Jahre als skandalös empfunden worden sein. Doch Connies Mut, dem geliebten Mann die Lust auch zu bekennen, ihre Neugierde und Offenheit – „Ach, wie klein er jetzt ist, wie eine Knospe“, wundert sie sich am nächsten Morgen – wären auch heute noch kühn. Sind wir wirklich so viel weiter als sie?

Die Regisseurin hatte viel Mühe bei der Finanzierung ihres dritten Films: Erst nach vier Jahren Suche fand sich über den Umweg einer Arte-Fernsehfassung ein Produzent, der bereit war, den durch einschlägige Erotikfilmchen in Misskredit geratenen Stoff erneut anzugehen. Und erst nach hymnischen Reaktionen auf der Berlinale sowie der Auszeichnung mit fünf Césars kommt nun die etwas gekürzte Kinofassung als „Director’s Cut“ auch in unsere Kinos.

Es ist ein genuiner Kinostoff: in den großartigen Bildern britischer Parklandschaften, die sich parallel zur Entwicklung der Protagonistin von eisigem Winter zu flirrend schönem Sommer wandeln, und in der gelassenen Aufmerksamkeit, die Ferran der Entwicklung ihrer Figuren schenkt – fast drei Stunden lang, mit langen Szenen des Schweigens, in denen nur die Natur das Sagen hat, in denen die Kamera immer wieder in Großaufnahme auf aufbrechende Blüten, auf fallende Tautropfen fährt. Auch die feinen Verschiebungen des psychologischen Gleichgewichts brauchen jene Zeit und Aufmerksamkeit, wie sie nur im Kino zu finden ist: die arrogant-kühle Duldsamkeit von Connies Ehemann Clifford (Hippolyte Girardot), die doch die Demütigung des hilflos im Rollstuhl Sitzenden verrät, die wortlose Rauheit des Wildhüters (Jean-Louis Coulloc’h), hinter der so viel Zärtlichkeit steckt – am Ende ist es eben doch keine Geschichte von Lust und Befriedigung, sondern von körperlicher wie seelischer Nähe.

Eine Mischung aus Chereaus „Intimacy“ und der klassischen Merchant-Ivory-Produktion ist Pascale Ferran gelungen: ein hinreißender Historienfilm – und eine radikal moderne Beziehungsstudie, die jenseits von Standesgrenzen und Zeitrücksichten zeigt, was für ein Abenteuer die Liebe ist. Immer.

In Berlin ab Donnerstag im Cinema Paris (OmU) und Filmtheater Friedrichshain. Deutschland-Filmstart am 4. Oktober

Christina Tilmann

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