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"Schlafkrankheit": Verloren in Afrika

Ein Zauber liegt über diesem scheinbar spröden, kunstvoll konstruierten Werk: Ulrich Köhlers wunderbar somnabuler Film "Schlafkrankheit".

Es ist eine Nachtszene, was nicht viel bedeuten mag in diesem an tropischen Nachtszenen reichen Film, der mit einer langen Nachtszene beginnt und nach einer schön seltsamen Weile in eine noch längere mündet, und diese Nachtszene siedelt genau in seiner Mitte. Draußen sirren die Baumfrösche, es ist heiß wie immer, und Ebbo lehnt in der Küche seines Hauses an einer Arbeitsplatte, menschenseelenallein; Neonlicht, dazu flimmert ein kleiner Fernseher grün, Fußball ohne Ton. Ebbo telefoniert in der Regenwaldnacht von Kamerun mit seiner Frau in Deutschland, er redet, wie und was man so redet, wenn man 5000 Kilometer voneinander entfernt ist – und auf einmal fasst ihn ein Schmerz an, den er sich nicht anmerken lassen will. Oder ist es ein Wissen, angefacht von der fernen, vertrauten, fernen Stimme.

Eigentlich sollte der Arzt Ebbo (Pierre Bokma) jetzt in Wetzlar sein, zurückgekehrt nach Deutschland zur Verfertigung eines neuen Lebensmittelpunkts, so war es geplant. Eigentlich hätte er die Krankenstation im Busch, die sein Zuhause geworden ist mit den Jahren, nur an den Nachfolger übergeben sollen und dann seiner Frau und Tochter nachreisen, aber Ebbo reist und reist nicht ab. Davon, dass und wie einer nicht Abschied nehmen kann und eines Tages dann doch und sehr, davon handelt „Schlafkrankheit“, der wunderbar somnambule Film von Ulrich Köhler. Und in seinem zweiten Teil davon, wie ein anderer nicht ankommen mag in diesem Kamerun, und dann tut auch er es auf seine Weise doch. So wie der Afrika-Reisende bei Verabredungen, Fahrplänen, ja, vielleicht sogar Mondfinsternissen besser nicht auf chronometrische Pünktlichkeit achtet, so sollte auch der Zuschauer dieses Films seine innere Uhr umstellen auf „african time“. Er erfährt ja alles zu seiner Zeit, nur geht eben nichts zack, zack, und erst recht nicht nach Wetzlar! Ebbo also bleibt in Kamerun, obwohl er bei scharf europäischem Hinsehen hier nur noch wenig zu tun hat – schließlich gibt es kaum mehr Schlafkrankheitsfälle in der Region, weshalb die fernen Projektförderer sich ihre Entwicklungshilfe sparen könnten. Auch der WHO-Gutachter Alex (Jean-Christophe Folly), ein Franzose mit kongolesischen Wurzeln, der Ebbos Arbeit eines Tages „evaluieren“ soll, taucht immer tiefer ein in jenen Kontinent seiner Vorväter, mit dem er zunächst fremdelt wie ein Tourist. Und statt streng den „Businessplan“ der Buschklinik einzufordern, nimmt er selber die sanft beobachtende, freundliche Trägheit seiner Umgebung an.

Ebbo ist nicht Joseph Conrads Colonel Kurtz, sondern ein melancholischer Versprengter, Davongesprengter aus der eigenen Biografie; und Alex reist, ohne es zu wissen, dem Herz eigener Finsternis entgegen. Das Binnenverhältnis dieser beiden unaufgeregt Binnengestörten ist, zeitweise, eine Art Mittelpunkt des Films; ein mit flackerndem Taschenlampenlicht ausgeleuchtetes Doppelgesicht der Fremde. Alex überwindet seine Angst in der schwarzen Tropennacht. Und der Traumwandler Ebbo, der ein neues Leben angefangen oder auch nur angezettelt hat, muss sich angesichts des Abgesandten aus Europa seiner Vergangenheit stellen. Nur was, wenn er die Brücke dorthin hat einrosten lassen, aufweichen, versinken wie nach einem unendlichen Tropenregen?

„Schlafkrankheit“ entwickelt keine geläufigen Standpunkte zur Entwicklungshilfe und auch sonst zu nichts, sondern lädt dazu ein, sich in einem nach eigenen Gesetzen verlässlichen Universum umzusehen. „Schlafkrankheit“ ist auch nicht linear lesbar wie so manche deutschen Filme des „Nirgendwo in Afrika“-Genres, die ihren Gegenstand dämonisieren oder romantisieren und in denen der Kontinent folglich exotischer Standort bleibt. Eher wohnt der Film, für den Köhler auf der Berlinale den Regiepreis erhielt, in einem verbürgten Anderswo, ähnlich wie Claire Denis’ „White Material“ oder Apichatpong Weerasethakuls letztjähriger Palmen-Gewinner „Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“. Das substanzielle Zuhause dieser Filme sind die Tropen, nicht hintereinanderweg und irgendwohin erzählt, sondern ausgebreitet, und folglich entfalten sie nach einer Weile ihre Innenseite ganz von selber.

Ja, und irgendwann wird es sogar märchenhaft, was manche Berlinale-Zuschauer eher komisch fanden. Ein Zauber liegt über diesem scheinbar spröden, kunstvoll konstruierten Film; wer sich darauf einlässt, macht sich auf ins Uferlose. Ein Abschied, ja. Ein Übergang.

In Berlin in sechs Kinos. Ein Porträt des Regisseurs Ulrich Köhler ist am Dienstag auf unserer berlin-kultur-Seite erschienen.

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