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Elena (Julia Zange) und Robert (Josef Mattes) lernen für's Abi.

© W-Film/Philip Gröning Production

Kinofilm von Philipp Gröning: Zwischen Prüfungsstress und Pubertät

Heidegger lesen, Bier trinken und prokrastinieren - bis sich alles entlädt. Philipp Grönings Gewaltstudie „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“.

Womit anfangen: Sein? Erkenntnis? Freiheit? Es ist das letzte Wochenende vor der Abiturprüfung in Philosophie. Stifte, Hefte, Karteikarten liegen neben Elena (Julia Zange) auf einer Decke im Gras, außerdem sitzt da noch ihr Zwillingsbruder Robert (Josef Mattes), der beim Lernen helfen soll, im Tausch gegen Freibier. Dieses Bild ist keine kurze Szene in „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“, es macht einen Großteil des gesamten, knapp dreistündigen Films aus. Irgendwo im süddeutschen Windräder-Niemandsland sitzen die beiden Geschwister albern herum, streicheln und streiten sich, holen neues Bier an der Tanke, streifen durch die anliegenden Wälder und philosophieren herum. Nur gelernt wird hier nicht, jedenfalls nicht systematisch. „Denken ist Warten, denn die Wahrheit ist schon da“, sagt Robert einmal.

Warten kann anstrengend sein. Philipp Gröning ist dafür bekannt, dass seine Filme eine gewisse Geduld erfordern, weil sie weniger eine Geschichte erzählen, als dass sie eine Erfahrungswelt in Bilder übersetzen. Für den Regisseur ist der Moment kein Punkt in einer linearen Erzählung, sondern er will dem Augenblick an sich zum filmischen Ausdruck verhelfen – es ist wohl kein Zufall, dass ein Heidegger-Buch neben den Geschwistern im Gras liegt. Ein solches Pathos der Präsenz kann schnell mal prätentiös wirken, aber aus Grönings Kino spricht mehr als eitler Kunstwille.

Der jeweilige Modus seiner Filme entspringt stets der Erfahrung seiner Figuren, ob im urban-ungestümen Couple-on-the-Run-Drama „L’amour“, in der meditativen Dokumentation „Die große Stille“ über das Leben in einem Kloster oder in „Die Frau des Polizisten“, der in 59 Kapitel zerschnittenen Bestandsaufnahme einer gewalttätigen Beziehung. Immer gibt die filmische Struktur auch einen Seelenzustand wieder.

Versuch, das Handeln zu ermöglichen

In Grönings neuem Film ist es der Seelenzustand einer prüfungsgestressten Abiturientin – die zu allem Überfluss mit ihrem idiotischen Bruder wettet, noch vor der Prüfung Sex zu haben. Aber auch diese Wette ist weniger Aufhänger für einen Plot als Ausdruck jener für die Geschichte konstitutiven Spannung zwischen Abitur und Pubertät. Die Spannung wird sich in der letzten Stunde von „Mein Bruder heißt Robert...“ in einem Drama der Gewalt entladen. All das bricht aus, was bisher nur auf bedrohliche Weise angelegt war: die unheimliche Symbiose der Zwillinge, das unberechenbar Destruktive, das Julia Zange ihrer Figur Elena von Anfang an verleiht, die kindischen Spielereien mit den beiden Angestellten der Tankstelle. Aber Gröning warnt sein Publikum: „Alle Philosophie versucht das Handeln zu ermöglichen“ ist eine weitere Weisheit, die Robert von sich gibt.

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„Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ feierte auf der Berlinale Premiere und wurde bei der Kritik wie von den Zuschauern zwiespältig aufgenommen. Der Film verstörte zutiefst. Das hat nicht nur damit zu tun, dass man hierzulande an ein Erzählkino gewöhnt ist, gegen das Gröning sein Erfahrungskino setzt. Sondern auch damit, dass sein neuer Film noch ein Stück erratischer geworden ist als die früheren, ebenfalls das Publikum fordernden Werke, noch weniger geerdet. Mal von ganz nah, mal aus der Vogelperspektive blickt die Kamera auf die jugendlichen Körper im Gras und zeigt zwischendurch einen Grashüpfer in Großaufnahme, den Elena vor ihren Kopfhörer hält, um dem Insekt ihr Lieblingslied vorzuspielen. Naturalismus und Traumlogik sind häufig so nahe beieinander, dass man sich verloren fühlt in diesem Erfahrungsraum.

Die Zukunft aufschieben, während sie unweigerlich wiederkommt

Und dann ist da noch die Sache mit dem Sein, der Erkenntnis und der Freiheit. Denkt man den Film von seinem Überbau her, dann mag er mitunter ächzen unter der metaphysischen Last. „Was ist die Zeit?“, stellt Elena gleich zu Beginn die ambitionierteste aller Fragen. Philipp Gröning ist es ernst damit, aber man kann das Prinzip seines Films auch bescheidener denken. Vielleicht hat hier ein Regisseur das, was ihn ohnehin umtreibt, nämlich seinen jugendlichen Protagonisten einfach in den Lehrplan hineingeschrieben und die beiden mit Zeitdruck und einer Tanke voller Bier im Niemandsland ausgesetzt. Aber die Figuren sind widerspenstig, haben anderes im Sinn als brav zu lernen – das spricht unbedingt für den Film, der anstrengend ist, aber auch anregend, aufregend.

Robert hat einen Wecker dabei, der die Uhrzeit ansagt, wenn er ihn berührt. Aber die Erinnerung an die real vergehende Zeit hat keinen Einfluss auf das Geschehen. Die Zukunft aufschieben, während sie unweigerlich näher kommt; gefangen sein zwischen Pubertät und Deadline – das ist es letztlich, was von Elenas Seelenzustand in die Erfahrung des Films selbst übergeht. War die Zeit in „Die Frau des Polizisten“ fragmentiert, ist sie hier, um es mit einem Modewort zu sagen, prokrastiniert, aufgeschoben. Dass Film und Figuren sich gegen Ende dann austoben, ist da nur konsequent: alles auf den letzten Drücker.

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Till Kadritzke

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