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Kultur: Klavier auf Kreuzwegen

CROSSOVER

Die Briten haben’s gut. Sie schätzen Kritiker, die unverblümt schreiben, was bei einer Aufführung nicht stimmen will. Leidenschaftliche Fragesteller, die in Ehren ergraute Klassikabonenten schäumend vom Stammplatz aufspringen lassen. So traute sich etwa der „Guardian“ einen Artikel unter der Überschrift „Warum sind die Konzertpianisten von heute so langweilig?" zu veröffentlichen. Und das nach einem umjubelten Gastspiel von Herrn Kissin. Selige Insel, wo man Klavierabende nicht verdämmern will und wo zwischen die Riten von gestern und lebendiger Kultur immer noch ein Artikel passt. Hier gedeihen Musikerkarrieren, die das in den vergangenen knapp zweihundert Jahren zusammengewachsene Klavierrepertoire lustvoll auseinandernehmen, Schneisen schlagen – über die Außengrenzen der Kulturfestung Europa hinaus. Joanna MacGregor geht diesen Weg so unbeirrbar wie unwiderstehlich. Sie reiht Barock an Avantgarde, stellt Indien neben Afrika – und gleitet im Kammermusiksaal der Philharmonie in nur wenigen Sekunden von Charles Ives zu Ludwig van Beethoven. Da rascheln die Programmhefte plötzlich verlegen, weil ihre Halter so gar nicht mehr wissen, wo sie sich nun eigentlich befinden. Allein für diesen kurzen Moment der Verunsicherung, der der Anfang allen Verstehens sein kann, möchte man Joanna MacGregor feiern. Für ihren Glauben daran, dass unter den trockenen Brettern des Podiums ein funkelnder Strom guter Musik fließt. Mit subtilem Gespür für Rhythmen bindet die Britin Chick Corea, György Ligeti, Astor Piazolla und Bela Bartok zu einer aufregenden Suite zusammen. Technisch brillant und traditionsbewusst – bei Joanna MacGregor hat Langeweile im Konzertsaal keine Chance.

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