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Kultur: "Kleinbürgerhochzeit": Regisseur als Zuckerbäcker

Wenn nichts hilft, hilft Brecht. Der Name bürgt für robust gebaute Stücke, für den Hauch von Kommunismus und Abenteuer, für politisch korrekte Frechheiten, die das Gütesiegel des Klassikers schmückt.

Wenn nichts hilft, hilft Brecht. Der Name bürgt für robust gebaute Stücke, für den Hauch von Kommunismus und Abenteuer, für politisch korrekte Frechheiten, die das Gütesiegel des Klassikers schmückt. Leider sind Brecht-Stücke manchmal recht komplizierte Angelegenheiten. Entweder sie versinken im Märchen-Kitsch wie die großen Parabeln, oder sie sind so schroff, dass sie einem amüsierwilligen Publikum den Abend verderben können, wie in Heiner Müllers brutaler, verstörter und verstörender "Fatzer"-Inszenierung. An Peymanns Berliner Ensemble, dem prachtvollsten Boulevardtheater Berlins, hat man einen eleganten Weg gefunden, Brechts Kompliziertheiten zu meiden: Philip Tiedemann, der detailverliebte Bastler unter den jungen Regisseuren, hat Brechts Jugendwerk "Die Kleinbürgerhochzeit" aufs Netteste inszeniert.

Der kleine, grelle Einakter kommt ohne unnötig verschlungene Gedankengänge aus. Die Farce führt eine missratene Hochzeitsfeier vor, in deren Verlauf zügig das Mobiliar, der gute Ruf des Brautpaars und das Idyll einer bürgerlichen Ehe demoliert wird. Die Dramaturgie ist die eines guten Laurel-Hardy-Slapsticks. Damen fallen von Stühlen, Tischbeine knicken ein, die Braut tanzt sehr angeregt mit dem Freund des Bräutigams, Bilder fallen von den Wänden, ein Schrank wird demoliert. Das ist lustig, weil es immer Spaß macht, Leuten dabei zuzusehen, wie sie auf die Nase fallen. Die anarchische Lust an der Zerstörung lässt nichts heil und tut trotzdem niemandem weh. Man amüsiert sich wie Bolle, und wer naiv ist, darf glauben, dabei etwas über Kleinbürger und ihre Lügen erfahren zu haben.

Das war schon 1919, als der einundzwanzigjährige Brecht die kurzen, derben Szenen schrieb, nicht mehr als ein theatralischer Scherzartikel. Die Parodie auf Spießergemütlichkeit ist seitdem nicht origineller geworden. Längst ist der Spott über Spießer selbst zur spießigen Konvention geworden. Um die bürgerliche Kleinfamilie zu erledigen, braucht es nicht den ideologiekritischen Aufwand Brechts. Die Modernisierungsschübe mit ihrem Zwang zu Individualisierung und Flexibilisierung genügen.

Philip Tiedemann gelingt es am BE nicht nur, Brechts aparten Scherzartikel auf knapp zwei Stunden zu zerdehnen, er erfindet gleich noch einige neue Theater-Genres: Die Ikea-Tragödie, die Bauhaus-Farce, das Heimwerker-Oratorium, das Obi-Volksstück. Die Hauptdarsteller sind nicht die unaufhörlich grimassierenden Schauspieler, sondern die Möbelstücke. Der Bräutigam hat sie selbst gebastelt, und jetzt gehen sie eins nach dem anderen zu Bruch. Eines muss man Peymanns neuem Boulevard-Ensemble lassen: Nirgends brechen Möbelstücke kunstvoller auseinander als hier, an keinem anderen Theater hat das Kunsthandwerk eine vergleichbare Perfektion erreicht. Wenn die Schreiner-Innung einen Theaterpreis zu vergeben hat, das BE wäre seiner würdig.

Die Schauspieler sind das nicht weiter störende Beiwerk zu diesen zusammenbrechenden Stühlen - lauter hübsch anzusehende junge Menschen, die mit ihren übertriebenen Gesten, ihre affektierten Gesichts-Gymnastik, ihren aufgerissenen Augen und dem kleinen, verschwitzen Aufflackern von Sinnlichkeit um größtmögliche Eindeutigkeit bemüht sind.

Tiedemann macht etwas Richtiges, wenn er hinter den Figuren der Farce kein Geheimnis vermutet. Er hat die Darsteller zu Typen und bunten Karikaturen gemacht. Der melancholische Dicke (Michael Rothmann) und der charmante Strizzi (Markus Meyer), der überforderte Biedermann (Boris Jakoby) und die komische Alte (Carmen-Maja Antoni), die joviale Plaudertasche (Martin Seifert) und das rundlich-sinnliche Kalb (Katja Danowski) - das sind lauter Slapstick-taugliche Witzfiguren, die vermutlich keine andere Daseinsberechtigung haben, als zu stolpern und am Ende sentimental zu werden.

Tiedemann widmet sich liebevollst den Details. Da werden unterm Tisch Beine aneinander gepresst, da versinkt die Hand eines Herren zwischen den Schenkeln einer Dame, da wird das Verteilen von Tellern mit Fisch oder Gebäck zu einer kleinen, sorgsam choreografierten Nummer ausgebaut. Das Problem ist, dass Tiedemann der Farce nicht traut. Jeden Einfall muss er endlos auspinseln, jede kleine Aktion wird bis zur Erschöpfung zelebriert und zur lieblich-komischen Einlage aufgefächert.

Das nimmt dem Slapstick nicht nur das nötige Tempo, es beschert dem Klamauk einen erdrückenden Beigeschmack von Bedeutung, Kunst und Tiefsinn, die, je länger sich das hinzieht, zunehmend unerträglich wird. Die Aufführung gibt sich große Mühe, herzallerliebst und süß und lustig und nett zu sein. Sie gibt sich so große Mühe, dass man das Theater mit leichter Übelkeit verläßt, als hätte man enorme Mengen viel zu süßer, viel zu klebriger Torte in sich hineingestopft. Tiedemann ist ein Zuckerbäcker, der es mit seinem Publikum einfach viel zu gut meint, vielleicht weil er davon ausgeht, dass die Geschmacksnerven so abgestumpft sind, dass nur eine Überdosis Zucker, Sahne, Klamottenhumor und Schminke das behaglich dösende Wohlgefühl auszulösen vermag, das offensichtlich das einzige Ziel seiner Boulevardkünste ist.

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