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Kultur: Kleinstadtblues

Hamburgs Theaterfabrik eröffnet mit „Dogville“

Eine leeres schwarzes Spielfeld, darauf ein paar Stühle, etliche Obstkisten. Ein junges Ding (Sarah Masuch) schlurft darüber, Lockenwickler im Haar, Pantoffeln an den nackten Füßen. Lustlos zuckt sie mit den Schultern, wischt ein wenig Staub. Wir sind in „Dogville“. Diese Stadt, die „letzte Station der Zivilisation“, liegt seit 2003 und seit Lars von Triers Film in der tiefsten amerikanischen Provinz: überall und nirgendwo.

Jetzt liegt „Dogville“ in Hamburg, zwischen U-Bahn-Endstation und Fritz-Schumacher-Siedlungen. Nina Petri hat hier „Die Theaterfabrik“ mit Regisseur Nils Daniel Finckh ins Leben gerufen. Aus einer leeren Fabrikhalle wurde in nur vier Monaten ein 400Plätze-Theater. Große Namen aus Film und Fernsehen sind dabei, die ohne Gage auftreten: Benno Fürmann spielt den Tom Edison der Eröffnungspremiere, geplant sind außerdem Finckhs Schauspielhaus-Inszenierungen „Trainspotting“ mit Robert Stadlober und Nora Tschirner sowie „Frühlingserwachen“ mit Barbara Auer, Nina Petri, Manfred Zapatka und Kai Wiesinger. Neben Idealismus und Energie haben die Leiter eine ebenso nahe liegende wie dürftige künstlerische Vision: „die Verbindung von Film und Theater“. Inszenierende Filmregisseure und bühnenadaptierte Drehbücher sind Programm.

Von Christian Lollike dramatisiert, wurde „Dogville“ im Oktober von Volker Läsch in Stuttgart uraufgeführt: härter, ironischer und politischer als der Film. Aus von Triers Mafia-Vater wurde der Ex-Direktor der Mercedes-Niederlassung. In Hamburg hat Finckh Regie (und Bühne) übernommen. Mit einem Erzähler (Michael Bideller) und einem Dutzend Dogville-Bewohner hangelt er sich an Triers Passionsgeschichte entlang und bestückt die Kleinstädter mit je einer plumpen Macke – Stottern, Hinken, Putzen – oder einem Musikinstrument. Die schlechte Akustik der Fabrik ignorierend, erzählt er von guten und von bösen Menschen. Benno Fürmanns Tom ist ein nuschelnder Hobbyphilosoph, der hilflos Gestus und Tonfall von Filmdarsteller Paul Bettany zu imitieren versucht. Judith Rosmair gibt ein scheues Reh von Grace, deren finaler Wutausbruch so wenig überzeugt wie ihr drei Stunden währender Glaube an das Gute im Menschen. Die restlichen Darsteller kleben in altmodisch ärmlichen (Film-)Kostümen (Sandra Asche) und tun genau das, was sie im Film tun: Sie verschwägern, verschwören und verraten sich, sind freundlich, feindlich, brutal.

Lediglich „inspiriert“ von Lars von Trier sei dieser Abend, heißt es im Programm. Lebte der in Cannes palmengekrönte Film von purer Theaterästhetik ohne Illusion und Spezialeffekte, so zeigt Finckhs Inszenierung nur einen schlecht nachgespielten Film – ohne jede Inspiration.

Katrin Ullmann

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