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Kultur: Knall vor Fall

Wo der Wahnsinn tobt: Constanza Macras mit „Berlin Elsewhere“ an der Schaubühne

Von Sandra Luzina

Constanza Macras ist die Lady Gaga der Berliner Tanzszene. Denn in all ihren Stücken spielen die Tänzer verrückt. Die Frauen schnappen über, die Männer drehen durch – das erscheint als einzig angemessene Reaktion auf eine lebensfeindlichen Umwelt, auf ein krankes kapitalistisches System. Für ihre neue Produktion „Berlin Elsewhere“ fährt sie nun wieder schwere Geschütze auf. Macras bezieht sich auf den französischen Philosophen Michel Foucault und dessen berühmte Studie „Wahnsinn und Gesellschaft“. Anouk Froidevaux doziert und tanzt wieder gleichzeitig. Atemlos haut sie den Zuschauern Foucault-Zitate um die Ohren, während sich ihre Glieder dabei verheddern. Die Thesen – über soziale Mechanismen des Ausschlusses – stehen als Behauptung steil im Raum. Aber dann begegnet einem doch nur die meschuggene Meute, wie man sie schon so gut kennt aus den Macras-Stücken.

Der Aufführung in der Schaubühne ist eine Warnung vorangestellt: „Dies ist kein Stück über Berlin.“ Die drei Plattenbauten auf der Bühne erinnern zwar an Berlin-Marzahn, verweisen aber auf jede beliebige Trabantenstadt. Ein umgestürzter Neubau dient als Podest und Hüpfburg für die Tänzer. Denkt man an „Megalopolis“, eine Reflexion über die Stadt, den Müll und den Körper, dann ist die Bühne diesmal leer und aufgeräumt. Die argentinische Choreografin schafft viel Platz für die tänzerischen Aktionen, sie fokussiert sich stärker auf Solos und Duette – die dann stets in einen kollektiven Tumult münden. Diese überbordende Simultanität, dieser permanente Overkill sind ja ihr eigentliches Markenzeichen.

Diesmal wollte Macras die Narren loslassen. Um zu beleuchten, wie Wahnsinn und Ausgrenzung einander bedingen. Macras hat darauf vertraut, dass der Tanz die Sprache des Wahnsinns auf beredte Weise zum Ausdruck zu bringen vermag. Anfangs geraten die Tänzer ins Schlingern, sie trudeln und mäandern ziellos durch den Raum, die Glieder spotten dabei aller Grammatik. Die phänomenale Hilde Elbers verrenkt und verknotet sich auf fast schon schmerzhafte Weise.

Auf Biegen und Brechen wird hier die körperliche Ordnung verschoben. Doch an Tollheit grenzt die Tanzwut nicht, man sieht keine heilige Raserei der Körper. Keine Borderline-Performance. Sondern die Kollisionen und Crashtests, wie sie mittlerweile zum Repertoire des zeitgenössischen Tanzes gehören. Am großen Thema Wahnsinn mogelt der Abend sich vorbei. Dafür aber gelingt es Macras, den ganz alltäglichen Irrsinn aufzuspießen. All die Großstadtneurotiker, Fresssüchtigen, Paar-Paranoiker und notorischen Quasselstrippen demonstrieren in ihren überdrehten Monologen, zu welchen Deformationen der westliche Lifestyle führt. Und selbst bei der kollektiven Orgie werden die Sexverrückten und Sexbesessenen vom Diskurszwang eingeholt, als Johanna Lemke ausruft: „Leute, was haltet ihr davon, eine Arbeitsgruppe zu bilden?“

Biografisch motiviert sind offenkundig die Episoden, in denen die Tänzer des multikulturellen Ensembles über Erfahrungen der Ausgrenzung sprechen. Der Brasilianer Ronni Maciel erzählt, dass er für die Weißen immer zu schwarz und für die Schwarzen immer zu weiß gewesen sei. Amüsant ist auch, wie die Tänzer versuchen, sich die Rolle des Außenseiters streitig zu machen. Ronni wird nach seinem Bekenntnis, schwul zu sein, von Fernanda Farah einfach abgebürstet. Farah ist die lustigste, durchgeknallteste von allen. Alles überfordert sie, auch die Frage, ob Gummibärchen für die Kindererziehung entbehrlich sind. Ihr Lamento mündet in dem Stoßseufzer „Man kann nicht nur den ganzen Tag Yoga machen.“

Am Ende verhökern die Tänzer auf dem Schwarzmarkt alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Sie werden mit Fragen aus dem Einbürgerungstest bombardiert. Und Farah erzählt von einer Frau, die behauptet, mit der Berliner Mauer verheiratet gewesen zu sein. Berlin ist irre – zu diesem Befund kommt Macras dann doch. Das Narrenschiff aber, auf dem sie ihre Ausgeflippten versammelt, ist ein aufblasbarer Vergnügungsdampfer. So ist „Berlin Elsewhere“ eher ein Leichtgewicht. Der Wahnsinn tobt anderswo.

Fr. 15.4., 20 Uhr, Sa. 16. u. So 17.4., 18 Uhr

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