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Kultur: Königin ohne Krone

Der doppelte Rossini: Saisoneröffnung an der Deutschen Oper – mit „Semiramide“ und Stabat Mater

Verheben kann man sich an den leichtesten Dingen: Schon ein unachtsam aufgelesenes Stück Papier führt im Unglücksfall zur absoluten Rückenblockade. Bei der Wiederaufnahme von „Semiramide“ im Rahmen der Rossini-Festtage an der Deutschen Oper ist Ewa Podles beim Hantieren mit einem Hartschalenkoffer zu Schaden gekommen. In der Hosenrolle des Arsace wuchtete der polnische Star mit der dunklen Stimme das Reiseutensil männlich-markig auf einen Trolley - und schon war’s passiert. Im Kampf gegen den aufwallenden Schmerz trotzte Podles ihrer ohnehin heroischen Rolle immer neue Aspekte von Standhaftigkeit, minimalistischer Ehrerbietung und zarter Klage ab. So tötete sie auch ohne gezogenes Schwert, war auch ohne Krone ein ganzer König und ohne tiefe Verbeugung eine gefeierte Diva.

Mit ihrer magischen Contralto-Stimme, die schon in der Auftrittsarie zeigte, mit welcher atemberaubenden Leichtigkeit sie durch drei Oktaven zu eilen in der Lage ist, bildete sie zusammen mit Alberto Zedda am Pult des Orchesters der Deutschen Oper das Kraftzentrum für einen bewegenden Saisonauftakt. Der 75-jährige Maestro trieb den Musikern mit nie erlahmender Verve das Urlaubsphlegma aus den Gliedern und lieferte den lächelnden Beweis dafür, was man mit gelebter Freundlichkeit alles erreichen kann. Unter Zeddas heiterer Geistesgegenwart bogen sich die Rossini-Festtage nicht unter der Last der aufgebotenen Belcanto-Speisen, verfinsterte sich das Gemüt nicht angesichts unzähliger Koloratur-Kasserollen.

Das Wiedersehen mit „Semiramide“ unter der Leitung des undogmatischen Rossini-Experten ist ein garantiert katerfreies Opernvergnügen, zumal Iano Tamar als neue Titelheldin aufregende vokale Akzente setzt, auch wenn sie darstellerisch nicht an die herbstliche Liebes- und Lebensgier ihrer Vorgängerin Darina Takova heranreicht (nochmals am 3. und 7. September). Weniger glanzvoll verlief abends zuvor der Kirchgang mit Rossinis Stabat Mater. Der Chor der Deutschen Oper hatte seinen Part wohl für so leicht gehalten, dass ihm Proben als ehrenrührig erschienen. Nicht Rossinis mitunter heitere Melodien unterm Kreuz, sondern der ungeschlachte Chorklang verliehen der Saisoneröffnung eine unangenehm barbarische Note. Auch das Orchester folgte Zedda auf der Bühne sitzend weniger konsequent als tags darauf im Graben. Aus dem uneinheitlich tendierenden Solistenquartett berührte die rumänische Mezzosopranistin Carmen Oprisanu mit feinnerviger, zart schmelzender Stimme. Mit „Semiramide“ jedoch wird in Berlin in jedem Fall wieder um Sterne gesungen.

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