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Kultur: Köpfe müssen brennen

Jetzt hat auch München seine Baracke: Mit einer jungen Mannschaft und einem veritablen jungen Stück wurde die Schreinerwerkstatt der Münchner Kammerspiele als provisorische Spielstätte eröffnet.Das 99-Plätze-Studio neben dem Schauspielhaus (Eingang durchs selbige) soll während der Umbauphase der Kammerspiele ein Jahr lang den Werkraum ersetzen.

Jetzt hat auch München seine Baracke: Mit einer jungen Mannschaft und einem veritablen jungen Stück wurde die Schreinerwerkstatt der Münchner Kammerspiele als provisorische Spielstätte eröffnet.Das 99-Plätze-Studio neben dem Schauspielhaus (Eingang durchs selbige) soll während der Umbauphase der Kammerspiele ein Jahr lang den Werkraum ersetzen.Dessen Repertoire wird nicht übernommen.Stattdessen sollen in der Schreinerei junge Regisseure mit neuen Stücken und Raumkonzepten experimentieren.Hat man sich da vielleicht auch ein wenig an Berlin orientiert? An Thomas Ostermeiers Erfolg in der Baracke des Deutschen Theaters? Scheint so.Und ist ja auch gut so.

Ein derart junges Team wie bei dieser Produktion sah man jedenfalls an den Kammerspielen schon lange nicht mehr sich zum Schlußapplaus verbeugen.Marius von Mayenburg, der Münchner Autor des Stücks "Feuergesicht", ist 26, Jan Bosse, der von ihm ausgewählte Uraufführungsregisseur, 29 Jahre alt.Auch die Bühnenbildnerin Stéphane Laimé und die Assistenten: extrem junge Leute, die ganz offensichtlich mit Feuereifer an die Sache gegangen sind.

Erzählt wird in "Feuergesicht" die Geschichte von Kurt, dem Zündler, und seiner Schwester Olga - eine Familien- und Pubertätsgeschichte, grausam, feurig und kalt.Das Stück wurde bereits gebührend entdeckt.Marius von Mayenburg, Absolvent des Studiengangs "Szenisches Schreiben" an der Berliner Hochschule der Künste, erhielt dafür 1997 den Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker und in diesem Jahr beim Heidelberger Stückemarkt den Preis der Frankfurter Autorenstiftung.Auch mehrere Nachspiel-Termine für "Feuergesicht" stehen bereits fest - unter anderem im Malersaal des Hamburger Schauspielhauses, wo Thomas Ostermeier als Regisseur vorgesehen ist.

Zwei Geschwister, inzestuös verkettet, ringen damit, erwachsen zu werden.Die Pubertät empfinden sie als erschreckende Mutation, als einen körperlichen Prozeß, der sie irgendwann so werden läßt "wie die": die Eltern, die Alten, die "krank" sind und faulen.Olga sieht das ganz klar: "Wir werden auch so, irgendwann.Das ist nicht zu verhindern, jeder wird erwachsen, irgendwann." Kurt nicht, Kurt sperrt sich: "Ich werde nicht wie die.Niemals!" Lieber will er "tot sein oder besoffen." In Kurts Kopf ist es immer ganz heiß.Kurt liebt das Feuer, die Hitze, alles, was wärmt.Das scheint seit seiner Geburt so zu sein, an die er sich zu erinnern glaubt: Überall seien damals "Brände aufgeflammt", und eine Rauchsäle sei rasch aufgestiegen.Kurt sagt: "Wir müssen brennen und uns verschleudern." Und: "Solange einer noch verbrennt, lebt er.En Toter ist kalt, da brennt nichts mehr."

Daß Kurt ein Pyromane ist, daß er heimlich Scheunen und Kirchen abfackelt, ist den Eltern lange nicht bewußt.Sie wollen es nicht wahrhaben, obwohl es immer mehr Anzeichen dafür gibt: die verbrannte Amsel im Keller, Kurts Zündelei in der Schule, seine versengte Visage, das Feuergesicht.Olga hingegen kriegt es heraus - und macht mit, glühend vor Begeisterung.Immer stärker kapseln die beiden Geschwister sich ab, ziehen sich zurück, werden fremd wie Wesen von einem anderen Stern.Erst boykottieren sie die Eltern, dann erschlagen sie sie.Einfach so.

Mayenburg erzählt das in schnellen, knappen Szenen, die fließend ineinander übergehen.Seine Sprache von einer unterkühlten Poesie.Der Hitzigkeit der beschriebenen Gefühle kommt er mit einer Coolness bei, die auf jede psychologische Unterfütterung verzichtet.Das erschreckt einen - und macht auch ein bißchen ratlos angesichts der nicht nachvollziehbaren Monstrosität dieser Kinder.Was soll das? Warum sind die so? Wer will, mag darüber nachdenken.Eine Antwort gibt es nicht.Auch Jan Bosse verzichtet in seiner Inszenierung auf Erklärungen - und kann trotz seines handwerklichen Geschicks nicht verhindern, daß diese Inszenierung bei aller Feurigkeit etwas Kaltes, Konstruiertes behält.Man fühlt nicht wirklich mit - aber man sieht und hört ihnen gerne zu, diesen Monsterkindern, die Jens Harzer und Anna Schudt mit so grandioser Andersartigkeit wie ferngesteuerte Roboter spielen, und ihren hilflosen Eltern (Franziska Walser, Oliver Nägele), die in ihrer Unbeholfenheit ganz sympathisch sind.

Schwer zu glauben, daß Jan Bosse kaum Regie-Erfahrung hat.Wie er die Personen führt, drapiert und choreographiert, wie er die Szenen ineinander verschachtelt und geschickt von der einen in die andere blendet, ohne seine Darsteller je von der Bühne zu lassen oder Umbaupausen zu beanspruchen - das zeugt bereits von einer gewissen Meisterschaft.In der Mitte der Bühne der Familientisch.Rings herum drei große graue Quader, die als Spielpodeste dienen.Oliver Nägele spielt den Vater als treudoofe Comicfigur im knallorangefarbenen Pulli.Franziska Walser an seiner Seite ist eine späte Tussi im roten Leder-Mini.Anna Schudt trägt als Olga ein viel zu knappes Stufenkleid in Silbergrau, einem groß gewordenen Püppchen gleich.Jens Harzer steckt im engen Ringelpulli und trägt türkisfarbene Strumpfhosen dazu.Beide sind großartig.Er: kalt und überlegen, ganz maniriert in seiner wahnhaften Besonderheit.Sie: glutäugig und zickig, trotzig wie eine Besessene.Mit solchen Monsterschauspielern könnte man noch ganz andere Alpträume inszenieren.Vorerst wollen wir uns mit diesem zufrieden geben.

CHRISTINE DÖSSEL

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