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Gunther von Hagens mit einem seiner Präparate

© epd

"Körper-Welten" am Fernsehturm?: Angriff auf Berlins vergessene Mitte

Bei der Diskussion um eine mögliche „Körperwelten“-Ausstellung am Fernsehturm wird vergessen: Sie wäre nicht nur ein moralisches, sondern auch ein urbanistisches Problem.

Es ist nicht schwer, sich auf die Seite von Bezirksbürgermeister Christian Hanke zu schlagen, der die plastinierten Leichen Gunther von Hagens als Verletzung der Menschenwürde empfindet und deshalb gegen ihre Dauerausstellung im Bezirk Mitte geklagt hat. Mit vorläufig negativem Erfolg, wie man seit ein paar Tagen weiß. Das Berliner Verwaltungsgericht sah keinen Verstoß gegen das deutsche Bestattungsgesetz, weil bei Leichen, die nicht verwesen können, keine Bestattungsnotwendigkeit bestünde.

Tatsächlich wurden mumifizierte Leichen seit der Antike, in Ägypten, Aachen, Palermo oder Moskau, immer schon dauerhaft ausgestellt, manchmal, wie im Fall der luftgetrockneten Toten in der Kapuzinergruft von Palermo, auf höchst skurrile Art, doch eben immer als besondere Variante herkömmlichen Totengedenkens. Davon kann bei von Hagens „Körperwelten“ keine Rede sein. Voraussetzung ist hier die Erfindung oder Perfektionierung eines wissenschaftlichen Verfahrens, nämlich des Austauschs von Gewebeflüssigkeit toter Menschen, Tiere und Körperteile durch Kunststoffe (z. B. Silikone). Inhalt der Ausstellung ist freilich etwas ganz anderes, nämlich eine Art säkularer Totentanz, bei dem plastinierte Leichen und Leichenteile als ins Leben zurück versetzte Horror-Marionetten figurieren müssen: gehäutet, seziert, aufgespalten, skelettiert, untot bewegt in simulierten Alltäglichkeiten vom Basketballspiel bis zur Kopulation. In seinen Bild-Dokumentationen zeigt sich von Hagens gern als vertrauter Spielmeister seines anonymen Toten- ensembles, doch kann weder die Vorgabe eines anatomischen Lehrtheaters noch die im persönlichen Beuys-Imitat versteckte Anspielung auf den Kunstcharakter seines Tuns das Unwort „Menschenmaterial“ abwehren. Womit wir wieder bei Bürgermeister Hanke und der moralischen Geschmacksfrage wären, die der Berliner Eventkultur freilich ebenso fern liegt wie den bestattungsrechtlich geeichten Juristen.

Die Wiederbebauung der Fläche vor dem Roten Rathaus: ein anspruchsvolles Experiment stadtbürgerlicher Identitätsfindung

Dass es neben der moralischen Geschmacksfrage auch eine historisch-topographische gibt, ist in der publizistischen Diskussion erstaunlicherweise so gut wie abwesend. Die Parterre-Umbauung des Fernsehturms, in der das Museum unterkommen soll, scheint den Beteiligten, selbst denen, die dabei an Sensationsmache und Rummelplatz denken, durchaus kein ungeeigneter Ort zu sein. Vielleicht, weil er, wie gelegentlich angemerkt wird, an den wegen seiner Konzeptlosigkeit touristisch überlaufenen Alexanderplatz angrenzt. Doch mehr noch grenzt er an die von den Stadtplanern als Bürger- oder Rathausforum bezeichnete Baubrache vor dem Roten Rathaus, deren Wiederbebauung zum anspruchsvollen Experiment der stadtbürgerlichen und historischen Identitätsfindung werden soll. Darum jedenfalls ringt man im städtischen Baudezernat und in einer Reihe von urbanistisch hochkompetenten Bürgerinitiativen, an deren Ausgangspunkt die glänzende Ausstellung „Berlins vergessene Mitte“ des Berliner Stadtmuseums von 2010 stand.

Es ist klar, dass das hohe Ansinnen dieses Projekts mit dem humanitär umstrittenen Sensationstheater der „Körperwelten“ nicht gut zusammenpasst. Schon die Summierung der erwartbaren Besucherzahlen würde die soziokulturelle Vision einer neuen stadtbürgerlichen Mitte spürbar beeinträchtigen. Den Gegenentwurf, nämlich das Rathausforum als Erholungsareal für die sich am Alex verausgabenden Touristen zu belassen (Bänke, Blumen, Toiletten), haben durchaus nicht alle ironisch verstanden. Dass Berlin ein Holocaustmahnmal hat und eine Topographie des Terrors, versteht sich von selbst. Eher schlecht oder gar nicht lässt sich dagegen begründen, dass sich in Rufweite zum Rathaus, zur Marienkirche, zum Luther- und Marx-Engels-Denkmal eine Topographie des Horrors etabliert. Die angemessene Lösung wäre ein weniger zentraler Standort und außerdem eine gelassene Diskussion der Namensgebung. Denn warum sollten uns von Hagens Leichenpräparate unter den irreführenden Namen „Körperwelten“ oder „Menschen-Museum“ beeindrucken?

Der Autor ist Literaturhistoriker und Initiator des Projekts „Berliner Klassik“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften

Conrad Wiedemann

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