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Kultur: Körperkino

Neuer Tanz beim SoloDuoFestival im Theater am Halleschen Ufer

Von Sandra Luzina

Rausch und Nüchternheit. In virtuelle Räume lockt Jan Pusch in seinem dreiteiligen Soloprojekt. „Into the blue“, dorthin, wo alle Begrenzungen der Physis aufgehoben scheinen. Pusch, einst Tänzer bei John Neumeier Ballett, ist inzwischen zu einem der vielversprechendsten freien Choreografen avanciert. „Into the blue“ ist der erste Teil der Trilogie „projections on the move“, die sich mit den neuen medialen Möglichkeiten auseinander setzt. Angesichts von Technologien, die eine körperlose Kommunikation ermöglichen, beschäftigt Pusch dabei besonders die Frage nach der Zukunft des Körpers. Das Schlagwort von der „elektronischen Einsamkeit“ macht schon die Runde – kein Zufall, dass Pusch mit Solos die Schnittstelle Mensch und Medien untersuchen lässt.

Der Tänzer Detlev Alexander tritt mit nacktem Oberkörper auf, so wird ein Spiel angezettelt mit der Materialität des Körpers und dessen Auflösung ins immaterielle Bild. Eine hochgezogene Schulter, eine Kippbewegung: Den Anfang markieren kleine Verschiebungen und Umordnungen des Körpers. Dem Ausloten räumlicher Beschränkungen folgt der Sprung ins Illusionär-Grenzenlose: Elektronische Bilder (Videos von Fettfilm) öffnen virtuelle Räume, in denen sich Dimensionen verirren, rasend wechseln die künstlichen Umgebungen.

Die Irritation dringt tiefer im zweiten Solo. Wobine Bosch agiert hinter einem transparenten Gazevorhang. Ihr Thema: die monadischen Existenz. Doch scheint sich im nächsten Moment ein Fenster zu öffnen – es entspinnt sich ein imaginärer Dialog mit einem Mann. Auf beiläufig-witzige Weise werden philosophische Fragen erörtert. Wie verhalten sich die Beschränkungen des Körpers und die Grenzen des Geistes zueinander? Pusch schickt seine Protagonistin auf eine unheimliche Reise: ins Innere des Körpers. Der Betrachter dringt mit ihr durch die Körperöffnungen ein, stürzt in rote Schlünde, wird eingesogen und wieder ausgespuckt. Danach findet sich die Tänzerin in einem männlichen Körper wieder: vom Körperphantasma zur Identitätskonfusion. Die wunderbare Fiona Gordon beschließt den Abend: Sie nimmt immer wieder kleine hysterische Verrückungen vor und verschwindet schließlich hinter der Tapete. Jan Pusch gelingt mit „Into the Blue“ beides: Er zeigt die Faszination der elektronischen Bilder, die Lust am visuellen Effekt und die Verführung zur Selbstvergessenheit. Zugleich ist sein Stück eine intelligente Reflexion über Selbst-Wahrnehmung im Videozeitalter.

Eine leichtfüßige Ballerina holt uns im Foyer ab, verteilt fürsorglich Capes und Regenschirme und ermutigt die Hand voll Zuschauer, durch einen Vorhang die kleine, schwarze Kammer zu betreten, in der uns der Zirkusdirektor Toto überschwänglich in Empfang nimmt. Mit preisenden Gesten kündigt er die Seiltänzerin Miss Halo an, die letzte Akrobatin seines einstmals so berühmten Golden Circus, und versucht die Zuschauer von der Poesie einer Darbietung zu überzeugen, die aus längst vergangenen Zeiten zu stammen scheint.

Eine melancholische Reminiszenz an Fellinis „La Strada“? Nicht ganz. Denn das Trapezkunststück in Hiroko Tanahashis Installation „The Last Circus“ ist ein virtuelles: Auf die Regenschirme platschen dicke, videoprojizierte Regentropfen und das Bild der Seiltänzerin in den Wolken muss man mit den Schirmen selbst einfangen – durchaus ein Drahtseilakt, die Schirmleinwand eigenmächtig in den richtigen Winkel zum Lichteinfall des Videobeamers zu balancieren - und das alles in 15 Minuten. Es ist das Spannungsverhältnis zwischen Multimediakunst und Nostalgie, das die interaktive Performance des in New York und Berlin ansässigen posttheaters auf die Bühne bringt: Wie ein Gaukler hüllt der Zirkusdirektor seine Besucher in die Illusion, an einer unglaublichen Sensation teilzuhaben – dem heutigen Stand der Technik entsprechend beruht der Schwindel auf Videosimulation. Auch wenn „The Last Circus“ sein eigenes Aussterben angeblich betrauert: diese Mischung aus Theater, Videoprojektion, Musik und Filmzitat hat sich innerlich schon längst von den klassischen Zirkusformen gelöst. Stefanie Müller-Frank

SoloDuoFestival, bis 1.12. „The Last Circus“, am 8. und 9.11. ab 19 Uhr jede Viertelstunde, Reservierung unter 2510941.

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