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Wolf Schneider 2010 im Berliner Regent Hotel

© Foto: Doris Spiekermann-Klaas

Kolumne „Spiegelstrich“: Heult weiter

Was unbedingt vom Sprachpapst Wolf Schneider in Erinnerung bleiben sollte - und warum Donald Trump und Elon Musk Weicheier sind

Von Klaus Brinkbäumer

Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzig. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer

Wolf Schneider verachtete weinerliche Menschen, vor allem weinerliche Männer, vor allem weinerliche Autoren. Schneiders schönste Sätze lese ich in den liebevollen, mitunter steifen, vielleicht ja noch immer nach väterlicher Wärme sich sehnenden „Ich und Wolf Schneider“-Nachrufen.

„Härte ist die beste Form der Liebe“, sagte Schneider, „Qualität kommt von Qual“ und „Gründe sind die Pest“, auch „Selbstzweifel sind Zeitverschwendung“. Schneider, Sprachpapst und „Sprachoffizier“ (Harald Schmidt), schrieb „Deutsch für Kenner”. Ich war nie sein Schüler und verehrte ihn doch fachlich und mochte ihn im sonstigen Leben nicht so sehr: Etwas zu wenig neugierig wirkte der ältere Herr, auch etwas selbstgerecht, was offenbar nicht zwingend direkt weiter zu Weinerlichkeit führt. Robust und zäh war jener Schneider, der 97 Jahre alt wurde, gewiss.

Adjektive raus, Verben rein!

Wenn wir uns nur sechs seiner vielen Gebote merken, werden unsere Texte nicht schwächer: 1. Adjektive raus (Schneiders Klassiker: „schwere Verwüstungen“ … „ach, es gibt auch leichte?“); 2. Verben rein (denn Verben handeln); 3. die Hauptsache an den Anfang und in den Hauptsatz; sowieso, 4.: kurze Sätze; aber auch, 5.: im Satzbau variieren, denn Sprache braucht Rhythmus und Überraschung; und schließlich, 6.: wenig Silben (nächster Klassiker: „Witterungsbedingungen“ … „Bäh. Es ist Wetter.“). These der Woche: Twitter macht weinerlich. Darum ist Wehleidigkeit ein Phänomen unserer Zeit.

Wolf Schneider twitterte bloß 2010 ein bisschen. „Ohne Schnickschnack: Wir brauchen eine neue Waschmaschine (und wir benötigen sie nicht), das Auto hat vier Räder (und weist sie nicht auf)“, schrieb er, und sieben Tage zuvor: „Ein verständlicher deutscher Ausdruck für einen unverständlichen Anglizismus: Prallkissen für Airbag.“ Nach 53 Tweets ließ er es sein.

Ich habe es einige Absätze lang hinausgezögert, aber nun müssen wir unsere These belegen und damit zu Elon Musk und Donald Trump kommen, den Weicheiern der Woche.

Trump hält es ja nicht aus, dass ein anderer, ein Jüngerer, eine Wahl und Aufmerksamkeit gewinnt und nicht das Knie beugt. Während Trumps Republikaner bei den Midterms, den Kongresswahlen, in den gesamten USA schwächer waren als prognostiziert, gewann Ron DeSantis, 44 Jahre alt, die Gouverneurswahlen von Florida mit 20 Prozentpunkten Vorsprung. DeSantis sagte danach nicht, dass er eine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2024 ausschließe und bedingungslos Trump, 76, unterstütze. Das war DeSantis‘ einziges Vergehen.

Trump beschimpfte den Sieger: Er kenne dessen dunkle Geheimnisse, außerdem könne DeSantis nichts, werde überschätzt. Trump nennt DeSantis Ron DeSanctimonious (was „scheinheilig“ heißt).  

Elon Musk hat gesagt, dass er die freie Rede befördern wolle, als er Twitter kaufte. Aber er droht der Ukraine mit Satelliten-Entzug, sobald er aus Kiew kritisiert wird. Er verändert die Regeln für anonyme Kritik, sobald er anonym kritisiert wird. Er erlässt Einschränkungen für Comedy, wenn Komiker sich mit Witzfiguren unserer Zeit, auch Elon Musk, befassen. 

Beide, der ehemalige Präsident Trump und der vermeintliche Alleskönner Musk, sind Twitter-Geschöpfe. Sie haben dort gelernt, dass jeder Satz, auch das ganze rassistische und sowieso das frauenfeindliche Zeugs, bejubelt wird: von denen, die das ernsthaft toll finden, und von denen, die Musks und Trumps Nähe ersehnen. Erlebt haben die Beiden auch, dass sie ausgelacht werden, beschimpft, verachtet.

Um wen dreht sich die Erde? Algorithmen verstärken beides, Größenwahn und Weinerlichkeit, darum die Egozentrik.

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