zum Hauptinhalt
Wasserstoff-Produktionsanlage der Linde AG in Leuna.

© imago/imagebroker / Foto: IMAGO/Rolf Schulten

Kolumne „Spiegelstrich“: Kollektive Dissonanz

Alle reden über die Klimakrise. Wirklich? Die Fachwelt ist längst abgekoppelt von der Öffentlichkeit und der Politik.

Eine Kolumne von Klaus Brinkbäumer

Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzig. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.

Am Freitag hörte ich Thomas und Frank zu, stundenlang, denn diese zwei Freunde aus Leipzig sind hochspezialisierte Ingenieure und suchen Wege in jener Krise, die uns alle entweder bereits beschäftigt oder in den kommenden Jahren beschäftigen wird.

Frank und Thomas also diskutierten über norwegische Versuche, CO2 in flüssiger Form in den Erdboden zu pressen, in die geologisch exakt dafür geeigneten Schichten. Warum das Verfahren, dass 2025 einsatzreif sei, nicht gefährlich sei, besprachen die beiden auch, aber ich kann es nicht erklären, weil ich nicht mehr mitkam. Was ich wieder verstand, war, dass die norwegische Methode in Deutschland politisch nicht gewollt sei.

Frank und Thomas sprachen kurz über Wasserstoff, über Chile, wo Windfarmen von der Größe Sachsens entstünden, über Photovoltaik-Farmen, die es in Nordafrika vor 20 Jahren schon geben sollte und die bis heute nicht beschlossen, geplant, gebaut sind, weil die Staatengemeinschaft keine ist. Dann sprachen sie wieder lange über seltsame Sachen.

Die zwei Fachleute, darauf möchte ich hinaus, führten ein Gespräch, das ich nicht begriff, obwohl ich es begreifen wollte. Und ich bekam eine Vorstellung davon, dass die Fachwelt gedanklich, aber auch sprachlich längst abgekoppelt, in einer gänzlich anderen Welt lebt als die politische und die journalistische Welt; davon auch, wie viel Wissen zu vermitteln sein wird, damit stimmige Entscheidungen getroffen werden können.

Die öffentlichen Debatten spielen ja nun anderswo. Wir diskutieren über die Letzte Generation und deren Proteste und den Tod einer Radfahrerin, und es scheint zwar, als diskutierten wir über die Klimakrise, aber das Eigentliche streifen wir nur.

In Italien, in Israel werden rechtsnationale Regierungen gewählt, weil Verbarrikadierung gegen die Unsicherheit dieser Zeiten zu helfen scheint; kein Wort dort über das Klima, über die Notwendigkeiten.

Wir könnten es technologisch schaffen, aber die Demokratie schafft es nicht.

Freund Thomas, von Beruf Ingenieur

In den USA wird in diesen Tagen über Kyrie Irving diskutiert. Der Mann ist Basketballer und hat auf Twitter zu einem antisemitischen Film verlinkt. Er hat sich dafür nicht entschuldigt, die Brooklyn Nets sperrten ihn, also hat er sich entschuldigt, aber halbherzig. Es ist ein klassisches amerikanisches Drama, täglich folgt eine neue Episode, und das ganze Land blickt hin, denn der erratisch-egozentrische Irving ist eine Medienmacht mit seinen 17,6 Millionen Followern auf Instagram.

Die USA diskutieren auch über Elon Musk, der sich aufgeschwungen hat, Unsinn über die Ukraine, China und die Weltlage zu erklären und politische Forderungen zu stellen, weil er Twitter gekauft hat; nun entlässt er auf die gruselig schlampige Weise die Hälfte der Mitarbeitenden.

Und die USA diskutieren über die Wahl von 2020 und die Frage, ob Donald Trump betrogen worden sei (nein). Am Dienstag wählen die USA Senat und Repräsentantenhaus, über Energie und das Klima diskutierten sie vorher nicht.

Thomas und Frank übrigens, grundoptimistische Typen wie ich (merkt man das eigentlich?), sind nicht optimistisch, was das Klima und unsere westlichen Gesellschaften angeht. Wir steckten in der Falle, sagen sie. Natürlich könne nicht ernsthaft gegen die Demokratie argumentiert werden, etwas Besseres gebe es ja nicht. Aber die Demokratie sei nicht gut genug für diese Aufgabe.

„Wir könnten es technologisch schaffen“, sagte Thomas, lächelnd, weil wir gerade verabredet hatten, auf einer Ebene weiterzureden, auf der ich folgen konnte, „aber die Demokratie schafft es nicht. Nicht in diesem Tempo, mit diesen Kurswechseln, diesem ewigen Zwang zum Kompromiss.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false