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Solidarität für Salman Rushdie vor der Public Library in New York City, eine Woche nach dem Anschlag gegen den Schriftsteller.

© IMAGO/UPI Photo

Kolumne Spiegelstrich: Kommt es immer schlimmer?

Ein Treffen im Jahr 2019 mit Salman Rushdie, der damals glaubte, die Bedrohung sei vorbei. Nun sollte er den Literaturnobelpreis bekommen - auch der Freiheit des Wortes zuliebe.

Von Klaus Brinkbäumer

Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzig. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.

Es war ein selbst für New Yorker Verhältnisse lauter Montag, die volle Stadt stand still. Ich wollte mit der U-Bahn von Downtown nach Midtown Manhattan fahren, doch die Züge öffneten nicht einmal mehr ihre Türen. Das Taxi stand auch nur auf der Stelle. Ich nahm ein blaues Leihfahrrad, fuhr Slalom durch den Stau, kam verschwitzt und zu spät in der berühmten Literatur-Agentur an, bei Andrew Wylie in der 57. Straße.

Es war jener Montag im Herbst 2019, an dem Greta Thunberg vor den Vereinten Nationen „How dare you“ rief. Der Präsident Donald Trump und die Kanzlerin Angela Merkel waren auch in New York. Ich hätte nicht hetzen müssen, denn Salman Rushdie kam noch ein bisschen später. „Ach, ich liebe diese Stadt“, sagte er.

Neunzig Minuten lang diskutierten wir die Welt und die Zeiten, Trump und Thunberg, und dann, ganz am Ende, sagte ich: Wir haben noch gar nicht über die Fatwa geredet. –„Gut“, sagte Rushdie.

Ich hatte auch nur eine Frage: Wie blicken Sie heute auf die Jahre der ständigen Todesdrohung, dieses Lebens unter Personenschutz zurück?

Er sagte: „Ich denke nicht viel daran, wie bei einer Krankheit, wenn sie vorbei ist. Ich habe jene Jahre durchgestanden, weil ich optimistisch war; ich habe immer geglaubt, da herauszukommen. Aufgeben ist Faulheit. Diesen Glauben habe ich immer: Geschichte verläuft nicht auf Schienen, sie macht dramatische Sprünge. Geschichte bleibt niemals, wie sie jetzt ist.“

„Geschichte bleibt niemals, wie sie jetzt ist.“

Salman Rushdie

Salman Rushdie war in jenem Herbst 2019 ein verschmitzter Mann, ein gelassen sarkastischer, ein vergnügter Mann, der glaubte, dass er die Jahrzehnte der Bedrohung, der permanenten Gefahr hinter sich habe. Die Fatwa, das war endlich vorbei.

Die Geschichte lehrt aber, dass es immer auch schlimmer kommen kann, sagte ich. Und Rushdie daraufhin: „Oh ja, schlimmer kann es zweifellos immer kommen.“

Rushdie lernte die Geschichte der satanischen Verse 1966 im Studium in Cambridge.

Rushdies „Satanische Verse“ sind 1988 erschienen. Der iranische Ayatollah Ruhollah Chomeini, der wegen dieses Romans das Todesurteil gegen Rushdie verhängte, las das Buch nie und starb 1989, weshalb die Fatwa nie aufgehoben wurde. Es gehört zu den Absurditäten unserer Gegenwart, dass nach all den Jahren, im Sommer 2022, ein 24jähriger Amerikaner mit libanesischen Wurzeln in das Bildungszentrum Chautauqua Institution im Bundesstaat New York reist, um Rushdie zu erstechen; schwere Verletzungen an der Leber und durchtrennte Nerven in einem Arm und einem Auge sind die Folge.

Der junge Salman Rushdie lernte die Geschichte der satanischen Verse 1966 im Studium in Cambridge. Als der Prophet Mohammed in die Berge ging, war Mekka noch wenige Generationen jung und doch schon patriarchalisch; in der bis dahin dominierenden Welt der Nomaden hatten Frauen mitbestimmt. Im wahren Wirtschaftsleben wollte der Kaufmann Mohammed von den Mächtigen Mekkas akzeptiert werden.

Er ging also in die Berge. Der Engel Gabriel erschien ihm dort und trug Mohammed jene Verse auf, aus denen der Koran wurde. Später sagte Mohammed, in Teilen sei er getäuscht, in Versuchung geführt worden, und korrigierte Passagen des ersten Textes: Die alten galten nun als teuflisch, die neuen waren die heiligen.

Was war geschehen? Das ist unklar. Klar aber ist, dass in der neuen Sure Nummer 53 die Bedeutung der Göttinnen al-Lat, al-Manat und al-Uzza herabgestuft wurde. Wurde Mohammed dafür in Mekka belohnt? Man weiß auch dies nicht. „Die satanischen Verse“ aber, der Roman, spielt mit diesem Motiv; lustig, schlau, liebevoll, große Literatur. 

In vier Wochen, am 6. Oktober, wird in Stockholm der Literaturnobelpreis vergeben. Salman Rushdie und die Freiheit des Wortes verdienen ihn.

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