zum Hauptinhalt
Der republikanische Senator Ted Cruz steht in der Kritik, weil er nach Mexiko reiste, als Texas im Schnee unterging.

© Olivier Douliery/AFP

Kolumne „Spiegelstrich“: Wie sich die meisten Krisen vermeiden ließen

Es gibt in den USA momentan vier parallele politische Krisen, alle vier selbstgemacht. Was wir daraus lernen können? Jedes Problem sofort anzugehen.

Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des Mitteldeutschen Rundfunks in Leipzig. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de, auf Twitter unter @Brinkbaeumer.

Nicht alle Krisen lassen sich vorhersehen, aber die meisten. Nicht bei allen Krisen, die sich vorhersehen lassen, können wir noch gegensteuern: Manchmal ist der Fehler oder die Intrige zu wuchtig und die Katastrophe auch. Die meisten Krisen, man lernt's mit den Jahren auf nicht schmerzfreie Weise, ließen sich vermeiden. Bloß wie?

Es gibt in den USA momentan vier parallele politische Krisen, alle vier selbstgemacht. Der Gouverneur von New York, Andrew Cuomo, war vor zehn Monaten als Gegentrump gefeiert worden, als strategisches Genie inmitten der Coronakrise. Da schon damals die vielen Todesfälle in Pflegeheimen ein heikles Thema waren, ließen Cuomos Leute die Statistiken fälschen: Menschen, die zwar in Heimen gelebt, aber ihre letzten Minuten auf einer Intensivstation verbracht hatten, wurden nicht als Heimbewohner gezählt; deshalb waren es angebliche 8 500 und nicht 15 000 Tote in den Heimen New Yorks. Es wird Cuomo niemals verziehen werden. Und er hätte dies wissen müssen: Solch ein Trick kommt heraus, immer.

Integrität gewinnt gegen Scheinheiligkeit

Der Senator Ted Cruz, der täglich von Patriotismus redet, verließ Texas mit seiner Familie in jenem Moment, als in einem Wintersturm Heizungen und Elektrizität ausfielen. Cruz floh nach Cancún, Mexiko, in ein Luxushotel. Auch dieses Bild wird bleiben: „Flyin' Ted“. Die Präsidentschaftskandidatur 2024 sollte er vergessen, und wir lernen Banales wieder neu: Integrität gewinnt gegen Scheinheiligkeit.

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.

© Tobias Everke

Das Weiße Haus Joe Bidens muss seine erste Krise durchstehen, da der stellvertretende Pressechef T.J. Ducklo die „Politico“-Reporterin Tara Palmeri sexistisch beleidigt und bedroht hat („Ich werde dich zerstören“). Palmeri hatte über Ducklos Privatleben recherchiert, welches deshalb politisch ist, weil er eben im Weißen Haus arbeitet und mit einer „Axios“-Journalistin liiert ist, die über das Weiße Haus schreibt. Da Joe Biden angekündigt hat, jede sexistische Äußerung sofort zu ahnden, stand fest, was zu passieren hatte. Wieso also versuchte Bidens Team, zunächst durch Anrufe hinter den Kulissen, dann durch eine einwöchige Sperre Ducklos die Affäre zu ersticken? Die wurde durch das Gestolper groß, größer, gigantisch, ehe Ducklo doch gehen musste.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Die „New York Times“ hat ihren als launisch und zynisch bekannten Wissenschaftsreporter Donald McNeil Jr. auf eine Peru-Reise mit Schülern und Schülerinnen geschickt, wo er sich launisch und zynisch benahm, was zu Beschwerden führte. Der heftigste Vorwurf: Rassismus. Eine Aufnahme existiert nicht, doch unstrittig ist, dass McNeil das sogenannte N-Wort fallen ließ; er sagt, er habe es nur zitiert. Die „Times“ tat zuerst nichts, dann prüfte sie den Fall, dann wurde es laut, dann sehr laut, und auch McNeil musste gehen; Chefredakteur Dean Baquet sagte nun, verletzende Äußerungen seien „regardless of intent“, unabhängig von der Absicht, zu bestrafen – als ginge es nicht bei jedem Satz zuerst darum, was wir sagen möchten. Was lernen wir?

Fehler benennen und überlegen

Krisenmanager sollten zu Beginn einer Krise, wenn alles noch still ist, Fehler benennen und überlegen, welches nun das schlimmste aller Szenarien ist; und welche Entscheidung sie öffentlich verteidigen möchten, falls jener „worst case“ eintritt. Diese Entscheidung sollten sie früh treffen, also gradlinig, also ohne den Zwang, in den kommenden Wochen ständig justieren und korrigieren zu müssen.

Segler übrigens lernen, dass jede Leine, die heute ausfranst, übermorgen reißen kann, und jede Leine, die reißt, kann zu einer Kettenreaktion führen, damit zur Kenterung. Jedes Problem sofort anzugehen und nach jedem Gespräch zu wissen, wer wann was tut, das sind Lehren von hoher See für Krisen an Land.

Klaus Brinkbäumer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false