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Burleske in vier Szenen. Pauliina Räsänen, Slava Volkov und Tiago Alexandre Neta Fonseca (v.l.) in der Kulisse von „Petruschka“.

© imago/Martin Müller

Komische Oper: Das doppelte Leben der Jahrmarktsfiguren

Komische Oper: Die Bilderzauberer der Performancegruppe „1927“ inszenieren Strawinskys "Petruschka" und Ravels "L'enfant et les sortilèges"

Was die britische Performancegruppe „1927“ vor gut vier Jahren an der Komischen Oper mit Mozarts „Zauberflöte“ anstellte, war ein echter Coup. Ein Überraschungserfolg, von dem jeder Intendant träumt. Eine Produktion, die nicht nur das internationale Renommee von Barrie Koskys Haus mehrte, sondern dem Musiktheater auch Geld in die Kassen spülte. Weil ein radikal überraschender Zugriff auf die meistinszenierte Oper alle Opernmanager magnetisieren musste.

325 000 Menschen haben diese außergewöhnliche „Zauberflöte“ inzwischen gesehen, bei mehr als 240 Vorstellungen in Berlin und rund um den Globus: Die Komische Oper selber hat sie in Barcelona und Schanghai gezeigt, Lizenzproduktionen kamen in Madrid, Düsseldorf, Helsinki und Los Angeles heraus. Und überall waren die allermeisten Zuschauer entzückt von der Verwandlung des mozartschen Evergreens in eine Art Stummfilm – bei dem die Hauptdarsteller aber live vor der Leinwand singen, immer in Kontakt mit dem gezeichneten Geschehen.

Natürlich wurden der Illustrator Paul Barritt und die beiden Performerinnen Suzanne Andrade und Esme Appleton, das Leitungstrio von „1927“ hinterher mit Angeboten überschüttet. Doch sie lehnten alle ab. Bis auf die Offerte von Barrie Kosky. Wobei der Intendant klug genug war, den Briten nicht einen weiteren Blockbuster des Repertoires anzuvertrauen, sondern eine zwar auch in märchenhaften Sphären spielende, ästhetisch aber ganz anders gelagerte Werkkombination vorschlug: die Verbindung von Igor Strawinskys 1911 entstandenem Ballett „Petruschka“ mit Maurice Ravels Einakter „L’enfant et les sortilèges“ (Das Kind und die Zauberdinge).

Ein Magier, der Holzpuppen in Menschen verwandelt

Womit Kosky zugleich den wenigen Kritikern der Kino-„Zauberflöte“ den Wind aus den Segeln nahm. Denn die brennenden Fragen nach dem Wie und Warum, nach der psychologischen Motivation der oft verwirrenden Handlungsweise von Mozarts Figuren, stellen sich bei den jetzt visualisierten Stücken erst gar nicht. Strawinsky erzählt eine Jahrmarktsgeschichte, in der es um einen Magier geht, der Holzpuppen in Wesen mit menschlichen Gefühlen verwandeln kann. Und bei Ravel steht ein Junge im Mittelpunkt, der aus Wut über den Stubenarrest, den ihm seine Mutter aufbrummt, sein Zimmer verwüstet – woraufhin Möbel und Spielsachen lebendig werden, um sich an ihm zu rächen.

Man muss also nicht mit der Überzeugung der „1927“-Macher konform gehen, es sei weniger relevant, dass die Darsteller Emotionen empfinden, „als dass sie diese dem Publikum in Form von klaren, symbolischen Gesten zeigen“, um diesmal die Poesie ihrer Bildsprache genießen zu können. Gerade bei „Petruschka“. Paul Barritt orientiert sich hier am russischen Konstruktivismus. Die Idee, den flirrenden Beginn des gut 30-minütigen Balletts durch pfeilschnell über die Leinwand sausende Vögel darzustellen, zeigt zudem, wie genau das „1927“-Trio der Musik zugehört hat – um die klanglichen Impulse dann fantasievoll, geistreich und mit schwarzem Humor in ihre Bildsprache umzusetzen.

Die Jahrmarktsbesucher sind animierte Leinwandfiguren, oft von grotesker Physiognomie, bis hin zu den beiden Babuschkas, die sich am „Hau den Lukas“ versuchen. Knallbunt geht es auf dem Vergnügungsgelände zu, schwarzweiß ist dagegen das Gefängnis, in das der Magier seine Puppen eingesperrt hat. Die „Ballerina“ und der „Mohr“ aus dem Original werden hier zu Artisten – Pauliina Räsänen und Slava Volkov bieten atemberaubende gymnastische Verbiegungskünste. Und Petruschka tritt auf als trauriger Clown, der sich in Gestalt von Tiago Alexandre Fonseca weniger nach Liebe verzehrt als nach Freiheit. So wird seine missglückte Flucht aus dem Unterdrückungssystem, die ihn schließlich in den Selbstmord treibt, unterschwellig auch zu einer Parabel auf das Sowjetsystem.

Zu den schnell geschnittenen Sequenzen, die den Zuschauern förmlich vor den Augen flimmern, passt der feste Zugriff des Dirigenten Markus Poschner auf Strawinskys Partitur, die ganz ohne Worte auskommt und doch äußerst aussagekräftig ist: Unerbittlich treibt er die Musik voran, virtuos steigt das Orchester der Komischen Oper auf seine Deutung dieser Melange aus Volkston und Avantgardesound ein, sorgt für scharfkantige Konturen und blitzende Klarheit.

Jazz und Tango, Impressionismus und Abstraktion

Modernste Klänge hat auch Maurice Ravel 1925 in seinen Einakter eingewoben, Jazz und Tango, Wolkig-Impressionistisches und kühne Abstraktion. Hier treten nun auch Sängerinnen und Sänger auf, allerdings sind ihre Stimmen zumeist aus dem Off zu hören, wodurch das Verwirrspiel mit real auf der Szene und virtuell auf der Leinwand agierenden Charakteren noch gesteigert wird.

Das Kind wiederum gibt es gleich doppelt, in Form der Sopranistin Nadja Mchantaf wie ihres Doubles Barbara Stephenson, sodass die Szenenwechsel mit dem Protagonisten genauso schnell abschnurren wie die mit rein animiertem Personal.

Auch Ravels Story haben Suzanne Andrade, Esme Appleton und Paul Barritt modifiziert: Ihr Kind ist ein unsympathischer Fettklops in Pfadfinderuniform, trampelfüßig und vollkommen mitleidlos, wie im Laufe des Stücks die von ihm malträtierten Bücher, Bäume und Tiere klagen werden. Um ihm dann einen wahren Albtraum-Marathon zu bereiten. Erst ertrinkt der wilde Knabe fast in heißem Tee, dann lässt die Sonne (koloraturstark: Talya Liebermann) die Schäferinnen-und-Hirten-Szenerie seiner Kinderzimmer-Tapete niederbrennen. Riesenhafte Katzen tauchen auf, Stühle wirbeln durch die Luft, Mr. Mathe quält den Schüler mit Rechenaufgaben.

So bezaubernd und einleuchtend klar die Symbolsprache über weite Strecken ist, die Moral von der Geschicht’ kommt am Ende des Ravel-Stücks leider nicht recht über die Rampe: Dass die Erlebnisse nämlich wirklich lebensgefährlich für das Kind sind und es dadurch erkennt, wie Taten und Konsequenzen zusammenhängen. Dafür sind all die Eichhörnchen, Fledermäuse und Nachtigallen, die sich zu einer Armee formieren, dann doch zu putzig.

Wirklich hart hingegen ist das Verhalten der Mutter (in strengem Schwarz: Ezgi Kutlu), die vom Kind in seiner Not herbeigerufen wird. Sie erscheint zwar und vertreibt dabei den Spuk - eine Umarmung aber, die ihr Sohn jetzt so dringend bräuchte, verweigert sie.

Wieder am 4., 8. und 19. Februar sowie am 2., 5., 10. und 26 März

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