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Noch am 9., 14., 18., 22., 26. und 29. Juni haben die Darsteller und Sänger von „La Périchole“ diesen Blick auf den Zuschauersaal der Komischen Oper.

© dpa

Komische Oper: Der Spaßbremser

Der Regisseur Nicolas Stemann gibt mit „La Périchole“ sein Operettendebüt. Seine Zuschauer sollen eine Menge über die Spaßgesellschaft, die Liebe im realen Leben und Offenbach selbst lernen.

So, jetzt mal Hefte raus und aufschreiben, was wir am Sonntag in der Komischen Oper alles gelernt haben. Erstens, dass die Spaßgesellschaft eine schlimme Sache ist und dass Quizshows gemacht werden, um das Volk zu verblöden und daran zu hindern, dass es über das Treiben der Herrschenden ernsthaft nachdenkt. Zweitens, dass die Liebe im realen Leben keine Chance hat und nur in hehren Kunstwerken wie Wagners „Tristan“ kurz gegenwärtig wird. Drittens, dass die Zeit, in der Jacques Offenbach seine Operetten schrieb, in Wirklichkeit gar nicht so lustig war, wie man angesichts der schmissigen Musik denken könnte. Weil nämlich ein paar Jahre zuvor in Paris der Aufstand der Commune blutig unterdrückt worden war. Und viertens, dass auch „La Périchole“ kein lustiges Stück ist, sondern dass Offenbach selbst der erste prominente Sklave der Unterhaltungsindustrie war und seine Cancans und Couplets zwar Pflichterfüllung, in ihrer Überspitzung aber auch Anklage dieser Menschen fressenden Unterhaltungsmaschinerie sind.

Soweit die Liste der Lernziele, die sich Nicolas Stemann für seine Offenbach-Doppelstunde vorgenommen hat. Weil er weiß, dass das Operettenpublikum – quasi die Hauptschulklasse der kulturinteressierten Öffentlichkeit – sich eh nur für Glamour, Albernheiten und gute Musik interessiert, geht er nicht anders zu Werke als ein Lehrer, der einem desinteressierten Teenagerhaufen die Rechtschreibregeln einbimsen muss.

Konkret heißt das: gebetsmühlenartige Wiederholung, damit auch der Letzte die Lektion begreift (bis auf die renitenten Lümmel, die am Ende kräftig buhen), Einbeziehung bewährter Unterrichtsmethoden wie Einar-Schleef-Chorjogging und postbrechtsche Theater-zeigt-Theater-Didaktik sowie fortlaufende Ergebnissicherung, für die die Musikbeispiele aus Offenbachs Operette auch gerne mal unterbrochen werden. Quasi als Stemanns Hilfslehrer geistert ein Überlebender der Commune (Andreas Döhler vom Deutschen Theater) durch die Szene und protestiert gegen das Operettentreiben. Die provokante Hirnlosigkeit von Offenbachs Gassenhauern lässt sich besonders schön zeigen, wenn man ihr Ausschnitte aus besagtem „Tristan“ gegenüberstellt, Kafka zitiert oder die blödesten Refrains („Mein Gott, wie sind die Männer dämlich!“) bis zum kollektiven Überdruss wiederholt.

Wie kann es sein, dass einer der erfolgreichsten deutschen Schauspielregisseure bei seinem ersten Ausflug ins Musiktheater so überhaupt nicht einschätzen kann, wann die Belehrung zu langweilen, ja zu nerven beginnt? So grundfalsch ist der Versuch ja nicht, Offenbachs Musik durch szenischen Biss aufzupeppen und dem Unterhaltungsbedürfnis nicht ganz widerspruchslos stattzugeben. Und niemand hat etwas dagegen, wenn die Geschichte des peruanischen Straßensängerpaars Périchole und Piquillo, das in die Interessenssphäre des populistischen Vizekönigs Don Andrès (Roger Smeets als Knallcharge vom Dienst) gerät, aus dem angestaubten Kulissen-Lima des 18. Jahrhunderts in eine andere Umgebung verfrachtet wird. Aber warum ausgerechnet in die arg abgegriffene Szenerie einer TV-Show mit routiniert schleimigen Conferenciers (Günter Papendell, Peter Renz) und Assistentinnentrio?

Stemanns Grundfehler besteht darin, dass er den inzwischen etwas ausgeblichenen sarkastischen Witz Offenbachs nicht durch frischere Pointen ersetzt, sondern durch moralisierende Botschaften. Die sind der Tod jeder Operette. Erst recht, wenn die Musik, um deretwillen das Publikum gekommen ist, zusammengestrichen wird, ohne dass der Abend deshalb kürzer oder gar kurzweiliger würde.

Was übrig bleibt, wird von Markus Poschner immerhin so süffig und schwungvoll dirigiert, dass man gerne mehr gehört hätte. Und es wäre auch ungerecht, dem Liebespaar Périchole und Piquillo (Karolina Gumos und Johannes Chum) Mangel an Charisma vorzuwerfen – beide singen ordentlich und die Regie will sie ja auch nur als nettes Normalopärchen haben.

Gerne hätten wir gelernt, dass auch deutsche Regisseure Operetten mit anarchischer Lust angehen und in der Musik schwelgen können, ohne den Kopf zu verlieren. Vielleicht steht das auch bald mal auf dem Stundenplan.

– Wieder am 9., 14., 18., 22., 26., 29. Juni

Jörg Königsdorf

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