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Kultur: Kommunistisches Schaumbad

Reden und reden lassen: Die Berliner Volksbühne sucht mit dem Philosophen Toni Negri die neue Linke

Neulich war ein Märchenerzähler in der Volksbühne. Ein weißhaariger Herr sprach mit großer Emphase von ungeheuerlichen Dingen. Von einem Wunderwesen namens „Multitude“ war die Rede, von den Monstren der „Biomacht“ und dem Netzwerk der supranationalen Konzerne und Mächte, die zusammen das globale „Empire“ bilden. Es klang wie eine faszinierende Mischung aus Science Fiction und Neomarxismus. Eine dunkel schillernde Welt breitete sich vor den Zuhörern aus, auf der ein permanenter Bürgerkrieg tobt und sich die Kräfte der Befreiung von Seattle bis Brasilien gegen das globale Reich des Bösen – mit George W. Bush als dämonisch grinsendem Darth Vader – erheben. Von der Zukunft der Menschheit erzählte der wunderliche Weise und davon, dass sie grauenvoll wird, wenn die vielen Einzelnen, die jetzt noch der Macht des globalen Empire ausgeliefert sind, sich nicht zum Fabeltier der Multitude zusammenfinden: „Wir werden besiegt werden, auf eine radikale Weise...“. Geschichtsteleologie und Endzeitraunen mischten sich in seine Rede. „Die Gegenwart ist schon tot – und die Zukunft ist schon lebendig“, lautete einer seiner funkelnden Rätselsätze, der wie ein Echo Ernst Blochs Utopia-Gesänge fortzusetzen schien.

Bei dem Vortrag handelte es sich nicht um das Vorprogramm zu dem Märchen, das Frank Castorf zur Weihnachtszeit inszenieren will. Toni Negri, einer der prominentesten politischen Philosophen der Gegenwart, war zu Gast in der Volksbühne, um einige Thesen aus seinem vor wenigen Wochen erschienenen Buch „Multitude“ vorzustellen. Negri, Philosophie-Professor aus Padua, ist alles andere als ein weltabgewandter Akademiker. In den Siebzigerjahren übten seine Theorien enormen Einfluss auf die linksradikalen Bewegungen vor allem in Italien aus. Unter der offenkundig haltlosen Anklage, als Mitglied der terroristischen Roten Brigaden an der Ermordung Aldo Moros beteiligt gewesen zu sein, verbrachte er zehn Jahre in italienischen Gefängnissen. Erst seit April letzten Jahres befindet er sich wieder auf freiem Fuß.

„Multitude“, die Fortsetzung des Theorie-Bestsellers „Empire“, den Negri und der amerikanische Literaturwissenschaftler Michael Hardt vor vier Jahren vorgelegt haben, ist nichts weniger als der Versuch, ein kommunistisches Manifest für das 21. Jahrhundert zu schreiben. Negri und Hardt formulieren eine Großtheorie, in der Globalisierungskritik, an Foucault geschulte Analysen der „Biopolitik“, Neomarxismus und utopische Revolutionsträume Platz haben. Die ominöse „Multitide“, ein von Negri und Hardt entwickelter Begriff, steht im Theoriegebäude weder für die Arbeiterklasse noch für die Armen und Entrechteten dieser Welt, sondern – für alle und jeden. An anderer Stelle, in seinem autobiographischen Buch „Rückkehr“, hat Negri eine nonchalante Begründung für diese großherzige Umarmung der gesamten Menschheit geliefert: „Die Menschen leben in ihrer Mehrzahl unter ständigem Druck, ob er nun materiell, psychisch oder physisch ist. Tatsächlich könnte jeder durch all die Arten von Druck definiert werden, denen er unterworfen ist und auf die er reagiert. Das große Problem ist deshalb, sich von alldem zu befreien, diese gattungsspezifische Anonymität der Unterdrückung zu verlassen und ihr ein Gesicht zu geben.“ Womit potenziell jeder Wohlstandsbürger Grund genug hätte, zum Revolutionär zu werden.

Mit der „Multitude“, der Masse der Einzelnen, versuchen die Philosophen, Marx’ Begriff des „revolutionären Subjekts“ an die komplexer gewordenen Gesellschaftsverhältnisse angesichts der Globalisierung anzupassen – ein Redesign linker Theorie. Und weil es den beiden Denkern nicht nur um die Sprachspiele der Theorie geht, sondern gänzlich unironisch auch darum, revolutionären Bewegungen Theorie-Munition zu liefern, erheben sie den Anspruch, mit dem Begriff der „Multitude“ dazu beizutragen, eben diese revolutionäre Assoziation der Einzelnen zu bilden.

Dieser Anspruch, den man freundlich als Wunschdenken – und weniger freundlich als Wirklichkeitsverlust – umschreiben könnte, sorgt für erhebliche Unschärfen in der Theorie-Konstruktion. Wenn Hardt und Negri in der Einleitung ihres neuen Buches frohgemut behaupten „wie ein roter Faden“ ziehe sich „überall auf der Welt der Wunsch nach Demokratie durch die zahlreichen Befreiungskämpfe und Befreiungsbewegungen, seien sie lokal, regional oder global“, fragt man sich unwillkürlich, in welcher Welt sie leben. Wen meinen sie mit diesen „Befreiungsbewegungen“? Etwa die islamistischen Akteure im Weltbürgerkrieg von Hamas bis Al-Quaida oder die maoistischen Terroristen und Drogenhändler des „Leuchtenden Pfades“? Herfried Münklers und Mary Kaldors Analysen der neuen Kriege liefern wesentlich genauere Untersuchungen der neuen Kriege als Negri und Hardt, denen ständig utopisches Rauschen und „normativ aufgeladene Glaubenssätze“ (so Rudolf Walter treffend in der „taz“) den analytischen Blick trüben. Wie schon in „Empire“, einem der meistdiskutierten Werke politischer Theorie der letzten Jahre, lösen sich Hardt und Negri auch in ihrem neuen Buch von den Feinheiten der Empirie, um ungestört an ihrer Theoriekonstruktion zu arbeiten. Noch einmal soll eine große Erzählung die neue Unübersichtlichkeit der Postmoderne ordnen, soll Sinn stiften und einen globalen Klassenkampf skizzieren.

Negris Vortrag, von einer andächtigen Gemeinde wie eine Hohe Messe des Linksradikalismus goutiert, war die erste Lieferung eines „jakobinischen Konvents“, mit dem sich die Volksbühne wieder einmal als Marktführer der systemkritischen Veranstaltungsbranche und größte Eventagentur des Antikapitalismus zeigt. Am kommenden Wochenende finden Negris Theorie-Bausteine ihre Fortsetzung in einer zweitägigen Party unter dem James-Bond-Motto „Live and Let Die“. Die Besetzung ist hochkarätig. Die hinlänglich event-erprobte Saskia Sassen, Soziologin an der Universität Chicago und eine der führenden Urbanitäts-Forscherinnen, wird einen Vortrag über „Angst und Tarnung“ („Zur Krise von neoliberalem Projekt und US-amerikanischem Staat“) halten, Rapper Jan Delay und die Garagenrocker „Von Spar“ sorgen für politisch gemeinten Krach. Diedrich Diederichsen stellt einen argentinischen Verlag vor, der Bücher aus Müll macht, und Schorsch Kamerun, Schirmherr der Party, wird frei nach dem Adorno-Motto „Fun ist ein Stahlbad“ die große Bühne in ein riesiges Schaumbad verwandeln – auf dass Regression, Dekadenz und Dissidenz feucht-fröhliche Allianzen eingehen. Passend zu Mark Terkessidis Berichten über Arbeitsimmigranten in Spanien und das Mittelmeer als unüberwindlicher Bastion vor der Festung Europa wollen Schorsch Kamerun und Sepp Bierbichler einen Schlager aus den Fünfzigerjahren anstimmen: „Fürs Mittelmeer geb´ ich meine letzten Mittel her...“ Das wird lustig.

Dieses Buch bestellenMichael Hardt, Toni Negri: „Multitude”, Campus Verlag, Frankfurt 2004, 430 S., 34 €. – Live and Let Die!, Volksbühne, Freitag ab 19.30 Uhr, Sonnabend am 15 Uhr. www.volksbuehne-berlin.de

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