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Die Pollesch-Bande. Milan Peschel, Bernd Moss und Martin Wuttke.

© Carstensen/ dpa

René Polleschs neues Stück am Deutschen Theater: König Lear oder Liebigstraße

Volksbühne kommt noch: Jetzt hat René Pollesch erst einmal wieder am DT inszeniert

Hat er nicht gerade erst den Friedrichstadtpalast bespielt? Muss er nicht eine Intendanz vorbereiten? Macht René Pollesch überhaupt mal Pause? Und steht dieser irre Produktionssturm und -drang nicht in einem merkwürdigen Verhältnis zu der Latschigkeit seiner Figuren – wie sie sich da durch Dialoge quatschen, die auf dem Papier unspielbar wirken, Polleschs Leuten aber locker über die Lippen perlen, irgendwie?

Draußen laufen ein paar Frauen mit einem Transparent herum, es geht um die Liebigstraße 34 und das „selbstverwaltete, anarcha-queer-feministische Hausprojekt“ in Friedrichshain. Sie leben dort, sagen sie, in einem „safer space“, der helfen soll, „Machtstrukturen und Privilegien zu reflektieren.“ Dem besetzten Haus droht die Räumung. Dagegen richtet sich der friedliche, von den Besuchern kaum wahrgenommene und mit der Theaterleitung abgesprochene Protest vor dem DT, wo gleich mal wieder eine René-Pollesch-Uraufführung steigt.

Das neue Stück heißt („Life on earth can be sweet) Donna“, und wie so oft bei diesem Autor und Regisseur ist der Titel in schon seiner Schreibweise vertrackt und komplexer als das, was auf die Bühne kommt. Früher hat sich Pollesch mit Gentrifizierung beschäftigt. „Stadt als Beute“ vor vielen Jahren im Prater wurde zu einer programmatischen Inszenierung, 2015 brachte er an der Volksbühne das Musical „Von einem der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte“ heraus.

Das Flugblatt der Besetzerinnen liest sich auch ein bisschen wie ein Pollesch-Text, ist doch die Liebig 34 ein „Schutzraum gegen die Zumutungen des Patriarchats und des Kapitalismus.“ Das Theater sieht sich auch gern als Freiraum und geschützter Bereich. Worum auch immer sich dann aber „Donna“ dreht: Mit Stadt und <SB190,65,140>Wohnen hat das Stück nichts zu tun. Es ist aber schon so, dass sich der designierte Anführer der Volksbühne gern mit dieser freien Szene solidarisiert. Und kokettiert. Die früheren Volksbühnen-Besetzer genießen ebenfalls seine Sympathie.

Wie eine alte, verkratzte Platte

Nur, draußen ist draußen, und drinnen läuft erstmal Bob Dylans „I want You“, versuchen sich seltsame Gestalten im labyrinthischen Bühnenbild von Anna Viebrock zurechtzufinden, Slapstick auf nassem Boden, gute Laune allerseits. Die Drehbühne ruckelt hin und her, wie eine alte Platte, schäbig-bunt gekleidete Großstadtharlekins (Kostüme von Nina von Mechow) stiefeln an die Rampe und fachsimpeln über Brechts so genannte Straßenszene, ein Beispiel für die Praxis des Epischen Theaters. Auch das kann die durchaus angenehme Stimmung nicht verdunkeln.

Schön ist es, Milan Peschel und Martin Wuttke wiederzusehen. Zu ihnen gesellen sich Judith Hofmann, Jeremy Mockridge und Bernd Moss. Inzwischen erzählen, die Pollesch-Texte immer nur noch Schauspielergeschichten. Theaterseminar, gespielte Theorie, Revue mit Reflexion. Diesmal erstaunlich locker. Ist das hier eine Schauspieltruppe, die sich verirrt im Gestern? Wer erinnert sich noch an die Namen, von denen sie sprechen – Horst Lebinsky, Dieter Mann? Große Namen des Deutschen Theaters vor und in den ersten Jahren nach der Wende. Und ja: Vielleicht hat das Theater heute, wie die Gesellschaft überhaupt, das Problem des schnellen Vergessens, des unglaublichen Vergehens von Bezugsgrößen und Werten.

Bob Dylan als Soundtrack

Das Theater hatte auch einmal einen anderen Platz in der Öffentlichkeit. Darum geht es hier, ein wenig. Peschel und Wuttke könnten, so wie sie da herumstehen und stolpern, Becketts „Warten auf Godot“ spielen, warum zögern sie? Zwei großartige Komödianten suchen ihren Auftritt, auch die Souffleuse Katharina Popov macht gut und hörbar mit. Pollesch-Theater ist stets backstage, Wuttke raucht Zigaretten. Worüber sie diskutieren, verrauscht schnell. Es spielt auch keine Rolle, weil die Rollen, die diese Fünf vorstellen, im Grunde sie selbst sind. Oder Pollesch-Cyborgs und Affinitäten. Die Schauspieler lieben das. Da können Autor und Ensemble ihre Eitelkeiten und Unsicherheiten teilen. Polleschs Selbstverliebtheit ist so groß, dass es fast schon wieder bescheiden wirkt. Er besitzt eine gewisse Macht, und er macht daraus Kuscheliges.

Das Theater hat sich in sich selbst hinein verkrochen. „Life on earth can be sweet)Donna“ bezieht sich wohl auf einen Titel der Feministin Donna Haraway. Aber zum Glück behalten die lustigen Figuren die Sache in der Hand, pusten sich souverän durch Polleschs Luftschlangentexte. Nachher gibt es noch einmal Dylan, „Like a Rolling Stone“. Aber davor gibt es Shakespeare.

Und das rührt ans Herz. Martin Wuttke, jetzt mit Lockenperücke, zeigt einen schüchternen Schauspieler, der von „König Lear“ träumt, den er aber nur ohne Publikum spielen kann. Und dabei kommt ihm keiner gleich. Er verzieht sich auf die Hinterbühne, und seine Schauspielfreunde schauen ihm durch die Ritzen in der Dekoration zu. Fantastisch, jubelt Pechsel mit seiner Perücken-Vokuhila. Das hat etwas vom alten Woody Allen. Von Boulevard und Klamotte. Viel Nostalgie ist im Spiel und viel Volksbühnenerinnerung. Anna Viebrock hat dort schließlich für die Abende von Christoph Marthaler unvergessliche Innenraumwelten geschaffen, die viel DDR-Äußeres atmeten, „Murx den Europäer ...“ und all das.

Auch Castorf war mal hier

Es dauert noch eine Weile, bis Pollesch am Rosa-Luxemburg-Platz übernimmt, im Sommer 2021. Da ist es gar nicht verkehrt, die Volksbühnen-Phantomschmerzen bis dahin ausgelitten und abgespielt zu haben, damit etwas Neueres beginnen kann. Am DT, gleichsam am falschen Ort, ergibt sich aus der Sehnsuchts- und Rückwärtshaltung eine freundliche Spannung. Frank Castorf hat hier Anfang der Neunzigerjahre auch Regie geführt, tolle Abende mit Ibsen und Bulgakow.

Jetzt geht es um nichts mehr. Um eine heitere Verzweiflung, wie sie nur Peschel und Wuttke gelingt. Dafür muss man Pollesch dankbar sein. Er bringt Schauspieler zusammen, an die man sich in Jahren noch erinnern wird. Und er hält die Lust auf ein Theater wach, das nicht nur wie eine Disco-Kugel um sich selbst kreist.

Rüdiger Schaper

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