zum Hauptinhalt

Kultur: Konsequent modern: Vor 100 Jahren wurde der Architekt Paul Baumgarten geboren

Gern berichtet der Architekt Josef Paul Kleihues darüber, wie er in letzter Minute den Abriss der Müllverladeanlage an der Charlottenburger Helmholtzstraße verhinderte, die Paul Baumgarten, der am 9. Mai 1900 in Tilsit geboren wurde, 1934-36 verwirklichte.

Gern berichtet der Architekt Josef Paul Kleihues darüber, wie er in letzter Minute den Abriss der Müllverladeanlage an der Charlottenburger Helmholtzstraße verhinderte, die Paul Baumgarten, der am 9. Mai 1900 in Tilsit geboren wurde, 1934-36 verwirklichte. Wo früher der Berliner Hausmüll auf Schiffe verladen wurde steht jetzt das Berliner Architekturatelier von Kleihues. In seinen Grundstrukturen erhalten und sorgsam restauriert, präsentiert sich die Müllverladeanlage als ein Paradebeispiel für die erfolgreiche Umnutzung eines Industriedenkmals. Noch immer fasziniert sie durch ihre Modernität und Funktionalität. Mit dynamischem Schwung schiebt sich der Wendekreis für die Pferdefuhrwerke, die den Müll anlieferten, weit in die Spree hinein und schafft eine spannende architektonische Verbindung zwischen Wasser und Land.

Paul Baumgarten gehörte zur jüngeren Generation moderner Architekten. Nach seinem Studium in Danzig und Berlin machte er sich zu Beginn der 30er Jahre sowohl mit seinen Wohnbauten als auch mit Industrieanlagen einen Namen. Wie bei seiner Müllverladeanlage gelang es Baumgarten auch im "Dritten Reich" trotz einengender Bauvorschriften, Elemente des Neuen Bauens aufzunehmen. Deutlich wird das bei einer Wohnzeile am Wilmersdorfer Hohenzollerndamm. Trotz eines flachen Walmdachs ist hier nichts von "Blut und Boden" Ästhetik zu spüren. Der Bau überzeugt durch seine sachliche Gestaltung und eine gefühlvolle Modellierung des Stadtraumes.

Die große Zeit Baumgartens begann nach 1945. Neben Egon Eiermann und Sepp Ruff stieg er zu einer der Leitfiguren der jungen Architekten der Nachkriegszeit auf. Die luftige Transparenz seines Konzertsaals für die Hochschule der Künste (HdK), der zwischen 1949 und 1954 auf den Grundmauern des kriegszerstörten Vorgängerbaus entstand, wirkte wie eine Befreiung. Baumgarten lies die steinerne Strenge der NS-Zeit hinter sich und führte Berlin an die aktuelle Architekturentwicklung der internationalen Moderne heran. Die in Glas aufgelöste doppelgeschossige Fassade des Konzertsaals verschmolz das auf schmalen Betonstützen ruhende Foyer mit der vorgelagerten Hardenbergstraße. Transparenz, Sachlichkeit und Funktionalität bestimmten auch die Modernisierung des "Hotel am Zoo" am Kurfürstendamm (1956/57), bei der Baumgarten dem späthistoristischen Altbau Alfred Messels eine moderne Gestaltung gegenüberstellte. Ähnlich ging der bis zu seinem Tod 1981 nicht nur in Berlin viel beschäftigte Baumgarten auch beim Wiederaufbau des Reichstages 1961-69 vor. Der schweren Fassade, die Paul Wallot entworfen hatte, setzte er im Inneren seine elegante gläserne Architektursprache gegenüber. Doch Baumgartens Reichstagsumbau war nicht dasselbe Glück beschert wie seiner Müllverladeanstalt: Kaum war Berlin zur gesamtdeutschen Hauptstadt aufgestiegen, entsorgte der Deutsche Bundestag das funktionsfähige Parlamentsgebäude zu Gunsten des Umbaus durch Norman Foster. Heute erinnert im Reichstag nichts mehr an Paul Baumgarten.

Jürgen Tietz

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false