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Kreuzberger wie wir. Die Band Mutter mit Sänger Max Müller (links) und Keyboarderin Julie Miess (Mitte).

© Promo

Konzert der Band Mutter: So bist du, nur du

Sie sind seit 30 Jahren Underground: Die Band Mutter spielt im Festsaal Kreuzberg, Sänger Max Müller verarbeitet Alltagsbeobachtungen zu poetischen Miniaturen.

Was darf man eigentlich erwarten vom Konzert einer Band, die nicht nur für ihre besonders intensiven Live-Performances, sondern auch für eine konsequente Verweigerungshaltung berüchtigt ist? Am besten gar nichts. Und weil das nicht geht, macht sich an diesem Abend im Festsaal Kreuzberg eine verhängnisvolle Mischung aus Hoffnung und Angst breit, die einem den Schweiß in die kalten Hände treibt. Als wolle er die Angst beschwichtigen, steht Sänger Max Müller plötzlich mit ausgebreiteten Armen im gleißend blauen Licht und schreit: „Du stehst dir selbst im Weg!“ Ach so ist das.

Seit 30 Jahren gibt es sie und seit genauso langer Zeit existiert die Kreuzberger Band Mutter im Unterbau der hiesigen Musiklandschaft. In keiner sogenannten „Szene“, weder im Punk- noch im Diskursrock fühlten sie sich je heimisch. Mutter war stets eine eigene Kategorie.

Jetzt zischt Sänger Max Müller wie besessen ins Mikro und die restlichen vier Musiker – in klassischer Rockbesetzung plus Keyboard – stimmen einen rumpeligen Marsch an, der dem orgiastischen Orgelrock aus Velvet Undergrounds „Sister Ray“ in nichts nachsteht. Bildete Letzteres bei den Velvets noch den krönenden Albumabschluss, so ist das hypnotische Proto-Krautrock-Geschrammel des Openers „Glauben nicht wissen“ erst der Anfang.

Keyboarderin Julie Miess überzeugt

Insbesondere Keyboarderin Julie Miess überzeugt mit wunderbar disharmonischen Melodiefiguren, die manchmal unverhofft in Harmonien von betörender Schönheit umschlagen. Wirkte das Rezept auf Mutters aktuellem Album „Der Traum vom Anderssein“, das an diesem Abend komplett durchgespielt wird, noch etwas skizzenhaft, so geht es im Live-Setting vollständig auf. Miess’ überragende Präsenz hat ganz unverhofft zur Folge, dass der ursprüngliche Mutter-Sound, eine Art düsterer Postpunk auf angenehme Weise gebrochen wird: In „Fremd“ singt Max Müller sogar zu Keyboardstreichern – und bleibt dabei vollkommen kitschfrei.

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Apropos Gesang. Max Müller trägt seine Texte überraschend klar verständlich, im Wechsel zwischen monotoner Sprechstimme und windschiefem Geschrei vor. Darin verarbeitet er Alltagsbeobachtungen zu poetischen, melancholischen Miniaturen. „Er erzählte die Geschicht’, die du dir anhörst und irgendetwas stimmt immer nicht darin“, heißt es in „So bist du“. Alltag, das scheinen für den Sänger immer zwei Dinge gleichzeitig zu sein: verhasste Normalität und Ursprung aller künstlerischer Inspiration.

Am Ende ist es Max Müllers Verdienst, ein abstraktes lyrisches Du in ein ganz konkretes zu verwandeln und das ganz ohne Gesichtsverlust – nicht zuletzt dank des parallel ablaufenden Klanggewitters seiner Band. Und das ist es, was Mutter tatsächlich ziemlich einzigartig in einer etwas drögen deutschen Musiklandschaft macht und bis zum Ende des Abends kalte Hände schwitzen lässt.

Frederic Jage-Bowler

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