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Sie bringen den Polka in die Welt: Die fünf Musiker der Band HISS sehen sich selbst "in den besten Jahren", um einen mitreißenden Mix aus Polka, Rock'n'Roll und Country zu machen.

© promo

Konzert: Polka-Tanz auf dem Vulkan

Die Band HISS aus Stuttgart spielte am Donnerstagabend in der Kulturbrauerei schweißtreibenden Polka. Die Songs handeln vom rauschenden Leben und dem Leben im Rausch - genauso fühlte sich das Konzert auch an. Der Polka löst auf, was bedrückend sein könnte. Was bleibt ist Tempo und Virtuosität.

"Wir sind Männer in den besten Jahren", sagt Stefan Hiss, "gut, dass ich's mal gesagt habe, denn man sieht's ja nicht!" Verwegen sehen sie aus, die Männer der Gang, die so heißt wie ihr Anführer: Hiss. Was wiederum, wäre es ein englisches Wort, in Deutsche übersetzt bedeutete: Zischen, Fauchen. Doch kommt die zischende und fauchende Kapelle nicht aus Amerika, wie ihre Country-Einflüsse und manche Inspiration zu ihren Cowboytexten. Sie sind auch nicht aus Mexiko, dem Balkan, Finnland, Russland, den Alpen oder einer Laubenpieperkolonie, den Gegenden, aus denen sie ihre musikalischen Ideen beziehen. "Wir sind nirgendwo daheim, rauchen und schlafen und essen auf Rädern, wir sind nirgendwo daheim!" singen sie gleich im ersten Lied.

Eigentlich sind sie aus Stuttgart, aber heute spielen sie im kleinen Maschinenhaus der Kulturbrauerei, Prenzlauer Berg. "Wir haben uns was Ordentliches angezogen und unsere schönsten Partykracher vorbereitet" sagt der Bandleader mit betonter Butterfahrt-Moderatoren-Stimme und lässt gleich wieder die Finger über sein weißes Akkordeon rasen, um die "Polkakönigin" zu besingen, mit einer Stimme, die in Phrasierung, Timbre und Drama ein wenig an den frühen Biermann erinnert. Stefan Hiss hat sich, ähnlich wie Tom Waits, Willy DeVille oder Helge Schneider, eine Rolle, eine eigene Bühnen-Persona zugelegt. Bei ihm changiert sie sehr schön zwischen zwielichtigem Strizzi, abgetakelten Tanzmusiker und angefetteten Mariachi-Mexikaner: mit spitzen Cowboystiefeln, weißen Nähten an schwarzer Hose, schmalem Oberlippenbärtchen, Dreiecks-Koteletten und ölig zurückgeschmierten Haaren. Rasant quetscht und zieht er am Akkordeon, singt spanisch, finnisch, englisch und deutsch. Feine Texte über "Männer in der Nacht", "Amor", "Ein Hoch auf die Kinder" – wilde Lieder über Fernweh, Rausch und Leben, über Suff und Muff, fette Frauen und versoffene Männer, Schmerz und Freude, Schlägereien, Rock 'n' Roller im Altersheim, Leben, Verfall und Tod. Dass alles Bedrückende sich auflöst in rasender Musik, rasantem Tanz, Tanz auf dem Vulkan - das ist die Botschaft von Hiss.

Polka, Tango, Cha Cha Cha ins schaukelnde Publikum gewirbelt mit Rock 'n' Roll-Attitüde. Walzer, Texas-Swing, Balkan-Beats und schmachtende Balladen. Wo andere Bands sich Duelle auf Stromgitarren liefern, sind es bei Hiss feurige Dialoge zwischen den Harmonikas: Zieh- und Mundharmonika. Michael Roth mit Zickenbärtchen und einem Pferdeschwanz bis zum Gürtel bläst eine virtuose Blues-Harp. Dahinter, wie eine Figur von Charles Dickens - mit hoher Stirn, drahtig weißen Zauselhaaren und dichtem Puschelbackenbart - spielt "Herr Schuh" die Bassgitarre wie eine Basstuba: umm-pah-umm-pah-umm-pah. Und tanzt dazu seine ganz eigene lustige Polka, wie ein Storch im Gemüsebeet, wie Pat und Patachon. Patch Pacher hämmert dazu kräftig elegant aufs Stehschlagzeug und schiebt die Kollegen von hinten an. Thomas Grollmus in schwarzem Anzug mit Weste und angegrauten, schulterlangen Haaren sieht aus wie "Leichenwagen Eddie" und spielt eine Stratocaster, die so abgerockt aussieht wie einst die von Rory Gallagher. Ein toller Gitarrist und Mandolinist, der Töne und Finger sehr vielseitig, gewandt und geschmackvoll bewegt zwischen Polkaraserei, Jazzgedüdel, The-Wind-Cries-Mary-Hendrix, Countrylicks und Surftwäng. Die Fans singen und tanzen, tanzen, tanzen. Auch nach zwei prallen Stunden und etlichen Zugaben wollen sie nicht aufhören.

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