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Kultur: Kosmonauten

Die Sophiensäle feiern ihr 10-jähriges Bestehen

Von Sandra Luzina

Unvergesslich die Ur-Szene: Im Sommer 1995 stieß Jochen Sandig auf der Suche nach einem Probenort für seine Lebensgefährtin, die Choreografin Sasha Waltz, auf einen verwunschenen Ort – einen roten Backsteinbau in einem Hinterhof der Sophienstraße. Im Festsaal des ehemaligen Handwerkervereinshauses hatten einst Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht revolutionäre Reden geschwungen. Nun blätterte die Farbe von der Decke, bröckelte das Gemäuer – und der unerschrockene Sandig turnte auf den Balustraden, stieg aufs Dach und träumte mit offenen Augen: Das sei der ideale Ort für eine neue Produktionsstätte. Die wenigen Anwesenden dachten: der spinnt!

Der Traum wurde tatsächlich wahr. Ohne einen Pfennig öffentlicher Gelder wurden die Sophiensäle gegründet, die nun ihren 10. Geburtstag feiern. Damals fügte sich alles aufs Glücklichste: Sasha Waltz eröffnete die neue Spielstätte mit einem bahnbrechenden Stück. „Allee der Kosmonauten“ bescherte Waltz eine Einladung zum Theatertreffen – und die Sophiensäle wurden über Nacht zu einer ersten Adresse. Etliche Künstler wurden hier durchgesetzt. Dirk Cieslak, Constanza Macras, Nico and the Navigators machten die Bühne in Mitte für einige Jahre zum spannendsten Ort in der Stadt.

Die Geschichte der Sophiensäle sei eine Liebesgeschichte, schwärmte Jochen Sandig auf dem Geburtstagsfest – und seine Augen leuchteten wie damals. Viele der dem Haus verbundenen Künstler hatten sich eingefunden, um zu gratulieren – doch während die Party nur schwer in Gang kam, dämmerte langsam die Erkenntnis, das nach zehn Jahren ein bisschen die Luft raus ist.

Zweifellos können die Sophiensäle auf eine einzigartige Erfolgsstory zurückblicken. Sie seien ein selbstbewusster Teil des Goldgräber-Berlins, formulierte es Adrienne Goehler. Dass sie nicht unbedingt mehr an der Spitze der Bewegung stehen, hat auch mit der veränderten Berliner Theaterlandschaft zu tun – nicht zuletzt auch dank des „Radialsystems“, welches Jochen Sandig und Sasha Waltz in diesem Sommer am Spreeufer eröffneten. Auch Matthias Lilienthals „Hau“ sorgt für eine Verschiebung der Gewichte. Und Amelie Deuflhart, die das Haus zu einer international vernetzten Produktionsstätte mit Modellcharakter gemacht hat, wechselt in der nächsten Spielzeit zur Hamburger Kampnagel-Fabrik. Sie hinterlässt ein finanziell abgesichertes Haus. Mit einem 10-Jahres-Mietvertrag in der Tasche, sind die Sophiensäle erst einmal vor Spekulanten sicher. „Spielräume produzieren“ heißt das Buch, das anlässlich des 10. Geburtstags erschienen ist. Neue Freiräume zu eröffnen – das bleibt weiterhin die schwierige Aufgabe.

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