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Anbetung der Druckmaschine. Im Tempel der Hebräer: Szene mit Vitalij Kowaljow als Zaccaria (M).

© Eventpress Hoensch

Saisonstart an der Deutschen Oper: Kraftakt der Gefühle

Die letzte "Nabucco"-Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin liegt 13 Jahre zurück, damals sorgte Hans Neuenfels' politisch mutige Regie für Aufregung. Jetzt formt Keith Warner Verdis Kultoper zum stimmigen Tableau.

Die Berliner Opernsaison beginnt tief in Kunstnebelschwaden gehüllt, ein Greis schreitet hindurch. Hager ist er, das weiße Haar fällt ihm über die Schultern. Ein Aushilfsbühnenarbeiter ist es nicht, der da langsam die gewaltigen Tore zur Spielfläche aufschiebt – das hätte die Gewerkschaft zu verhindern gewusst. Nennen wir ihn den alten Kulissenschieber. Andere werden vielleicht sagen, sie haben Gott gesehen, wie er höchstselbst Hand anlegt hat bei dieser „Nabucco“Premiere an der Deutschen Oper.

Nach 13 Jahren kommt hier eine Neuinszenierung von Verdis Frühwerk heraus, das durch seinen Gefangenenchor unerhörte Popularität erlangte, als Ganzes aber eine bodenlos rachsüchtige und vor allem heillos bruchstückhafte Collage bildet. Das giftspritzende Libretto geizt nicht mit Herausforderungen, etwa wenn das jüdische Volk von der Ausrottung durch die Babylonier bedroht ist. Die Regie überhebt sich leicht daran, indem sie zum Beispiel die Hebräer als Ostjuden auf dem Weg in die Konzentrationslager zeigt, wie an der Wiener Staatsoper geschehen. Hans Neuenfels, von dem der letzte, erbittert angefeindete Interpretationsansatz an der Deutschen Oper aus dem Jahr 2000 stammt, steckte die Babylonier in Hornissenkostüme und ließ „Was, wenn ich Jude wäre, würde ich tun?“ an die Wand schreiben.

Keith Warner ist ein Opernprofi. Er weiß, wie krude das "Nabucco"-Libretto ist

Keith Warner neigt nicht dazu, sich zu verheben. Der Brite ist ein Opernprofi von Ringerstatur, er weiß, dass man „Nabucco“ gar nicht inszenieren, sondern seine blutigen Fetzen höchstens ansprechend arrangieren kann. Im Programmheft äußert er Verständnis für Regisseure, die auf die Idee kommen könnten, das dramma lirico in einem Atomreaktor anzusiedeln – wegen der brutalen Lebensenergie, die in „Nabucco“ freigesetzt wird. Er selbst will den utopischen Idealismus des 19. Jahrhunderts am Beispiel der Hebräer sichtbar machen. Sie stecken in strengen, hoch geschlossenen Miederkleidern und Gehröcken, die aus der Entstehungszeit der Oper stammen könnten, während die Babylonier in postmoderne PatchworkKlamotten gewandet sind. Im Tempel der Hebräer steht eine Druckmaschine, während die Babylonier Hellebarden horten. Ein Kampf zwischen Damals und Heute, zwischen Werten und Aktion soll sich daraus ablesen lassen.

Stringenz darf man bei Warners Ausstaffierung keinesfalls erwarten und auch nicht enttäuscht sein, wenn es partout keine Regienüsse zu knacken gibt. Doch etwas gelingt dem Routinier: Die endlosen Auf- und Abtritte des Chors in seinen unterschiedlichen Rollen, das Gewoge der Handlungsorte, die entwurzelten Solisten – all dies passt er in eine große Bühnenbewegung ein, formt aus dem logistischen Wahnsinn ein repertoiretaugliches, musikalisch stimmiges Tableau. Eine Bühne für ein Verdi-Ensemble. Und das hat die Deutsche Oper auch wirklich zu bieten.

Voran, natürlich, der Chor. Das vielfach preisgekrönte Kollektiv in seiner Pracht und Kraft zu zeigen, war einer der Gründe, „Nabucco“ an der Bismarckstraße im Verdi-Jahr auf den Spielplan zu setzen. Chordirektor William Spaulding hat seine Sängerinnen und Sänger nicht nur eindringlich vorbereitet, er hat ihnen für diesen den Abend tragenden Auftritt auch jegliche Routine ausgetrieben. Das dynamische Spektrum ist atemberaubend, die Reaktion auf forcierte Tempi für ein so großes Ensemble beinahe perfekt. Und dann der Gefangenenchor: „Va pensiero“ – kein Schnulzen, kein Leiern, sondern Musik, die aus dem Inneren langsam nach außen dringt. Ein Bewusstwerdungsprozess.

Der 26-jährige Dirigent Andrea Battistoni meistert "Nabucco" erstaunlich souverän

Auch im Orchestergraben wird mit vollem Herzen musiziert. Dirigent Andrea Battistoni, gerade mal 26 Jahre jung, gelingt es, Spannung auch dann zu halten, wenn einmal nicht donnernd zugeschlagen wird. Zügig führt er durch die Partitur, ohne der Musik die Luft abzudrücken, und meistert die musikalische Verzahnung von Bühne und Graben mit staunenswerter Souveränität. In seinem Rollendebüt bietet der dänische Bariton Johan Reuter einen bewegenden Nabucco und schenkt diesem zersplitterten Charakter überraschend schöne, treffende Töne. Auch deshalb, weil Reuter dafür keine von sich aus saalfüllende Stimme mitbringt.

Über die verfügt die zweite Rollendebütantin des Abends spielend. Anna Smirnovas Abigaille verströmt eine irrlichternde Lust an Kraft und Grausamkeit. Sie reißt die Szene an sich und stößt von sich, wer sie langweilt. Ein Theatertier, das nichts zurückhält. Dass ihr der alte Kulissenschieber dafür am Ende keine Gnade gewähren will, ist ein Skandal.

Weitere Aufführungen am 12. und 15. September sowie am 3., 5. und 8. Oktober

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