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Kreisch ist ihr Gemüse: Bieber-Fans im Angesicht von Bieber.

© dpa

Justin Bieber in Berlin: Kreisch ist mein Gemüse

Justin Bieber bringt in der O2-World 16.000 Mädchen aus der Fassung. Sein Geheimnis: viel Gefühliges, wenig Konkretes. Wo die Liebe nie gierig und frei von Sexualität ist, da sind Justin-Bieber-Fans zu Hause - und können ungestört von ihrem Star träumen.

Zum Schluss tanzen Herzen über die Riesenleinwand. Rot-gelbe, hoch und runter, kurz bevor Konfetti und Ballons von der Hallendecke segeln. Justin Bieber singt „Baby, baby, baby, oh“ und dann „Baby, baby, baby, no-oh“, Mädchen kreischen so laut, dass sich Ordner die Ohren zu halten.

Dies ist noch einer der weniger kitschigen Momente der Show. Zuvor hat Justin Bieber bereits: einem Mädchen aus dem Publikum Blumen geschenkt, im Kunstnebelteppich Klavier gespielt, die eigene Mutter auf der Bühne geküsst und versichert, dass er für immer ihr Baby bleiben wird. Nichts davon ist ironisch gemeint.

Ein 17-Jähriger singt eingängigen Pop, 16 000 kreischen, die allermeisten weiblich und weit von einem Schulabschluss entfernt. Auf der Bühne ist jede Bewegung einstudiert, auch jede Zwischenansage, jede vermeintliche Überraschungseinlage. Das weiß man, weil seit einigen Wochen ein Dokumentarfilm über Biebers letzte US-Tour in den Kinos läuft, die genau all das zeigt. Echt sind die Tränen, die heute aus Mädchenaugen rollen.

Die Show wirkt so bombastisch wie ruhelos. Ständig blinkt und funkelt es, da sind Leinwand, Laser, Leuchtdioden, vier Tänzer und vier schunkelnde Backgroundsänger. Auch Bieber selbst bleibt in Bewegung. Seine Choreografie ist eine eigentümliche Mischung aus lässigen R’n’B- Schritten und roboterhaften Arm-Bein- Verrenkungen mit Skigymnastik-Anmutung. Zwischendurch verschwindet Bieber von der Bühne, auf der Leinwand flimmern private Videoaufnahmen aus seiner Kindheit. Die zeigen, wie der kleine Justin beim Schlittschuhlaufen hinfällt, bei ersten Schwimmversuchen Chlorwasser in die Augen bekommt, vor allem aber in der Küche tanzt, singt, trommelt, so rhythmisch, dass man es kaum glauben mag.

Diese Bilder dienen nicht als Pausenfüller für Biebers zahlreiche Kostümwechsel. Sie sind zentrale Beweismittel dafür, dass er kein Disney-Produkt ist, kein konsequent umgesetztes Marketingkonzept. Denn wenn den Kanadier etwas von den Horden der Castingshow-Teilnehmer und Boygroup-Konstrukte vergangener Jahre unterscheidet, dann ist es sein unbestreitbares, offensichtliches musikalisches Talent.

Ein Produkt bleibt er trotzdem. Auf der Bühne trägt er Jacken, auf denen man vorne seine Initialen, hinten den Nachnamen liest. Die Bieber-Verehrung hat inzwischen einen Grad an Wahnsinn erreicht, dass selbst der Fanbeauftragte aus Biebers Tross draußen vor der Halle wie ein Popstar verehrt, fotografiert, um Autogramme gebeten wird.

Justin Bieber ist nicht weniger als eine globale Bewegung. Vor drei Jahren lud seine alleinerziehende Mutter die ersten Videos ihres singenden Sohnes auf Youtube hoch, umgehend meldete sich ein Produzent, überredete die Kleinfamilie zum Umzug aus der kanadischen Provinzstadt in die Staaten. Heute wird Bieber in Japan, Frankreich und Deutschland gleichermaßen angekreischt. Und überall formen Mädchen mit ihren Daumen und Zeigefingern Herzen. Da kann es passieren, dass Bieber wie vorige Woche in Oberhausen auf der Bühne steht und „What’s up, Düsseldorf?“ ruft. In der Berliner O2-World gelingt die Städtezuordnung.

Der Popstar Bieber hat viel Liebe zu geben. Es ist eine zärtliche, aufopfernde, nie gierige Liebe, sie ist genauso frei von Sexualität wie die Küsse, die er auf der Bühne seiner Mutter gibt. Ein entscheidendes Merkmal des Systems Bieber ist, dass seine Fans täglich eine Dosis seiner Zuneigung beziehen können. Über den Kurznachrichtendienst Twitter verschickt der Sänger im Internet laufend gefühlige Nachrichten an seine Anhänger, mehr als acht Millionen lesen mit. Oft steht nicht mehr als „I love you“ drin, und weil die Ansprache zwar persönlich gehalten, aber an keine konkrete Person adressiert ist, kann sich jeder darin wiederfinden. Derart viele Liebesbekundungen gab in der Geschichte der Popmusik bisher nur Michael Jackson von sich. Mit diesem, in dessen früher Version, wird Bieber zunehmend verglichen. Folgerichtig tanzt er den Moonwalk zu einem Jackson-Song.

Skeptiker, auch bei der Berliner Polizei, hatten für Sonnabend wüstes Gedränge befürchtet. Vielleicht sogar Massenpanik. Der Veranstalter rief über elektronische Laufbänder zur Bewahrung der Ordnung auf: „Bitte nicht auf die Stühle stellen!“ Eingreifen muss das Sicherheitspersonal aber nur am Eingang. Bei der Taschenkontrolle konfiszieren sie hunderte Parfümflakons, Sprays und auch drei Haarglätter. Fan-Eltern können beruhigt sein. Justin Bieber ist definitiv eine der angenehmeren Begleiterscheinungen der Pubertät.

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