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Menschen steigen in ein Auto

© Kromus + Zink

Krieg als Kunstthema: Entkommen im Zickzack

Wie viele Menschen passen in ein Auto? In Berlins Galerien machen Künstler den Krieg in ihrer Heimat und die Flucht zum Thema ihrer Kunst.

Je mehr Asylsuchende in Deutschland eintreffen, desto abstrakter wird die öffentliche Debatte über sie: Statt um die Bombardements bei ihnen daheim und ihre Erlebnisse auf der Flucht geht es jetzt um Kosten und Verteilschlüssel. Die Einzelausstellung von Aslan Gaisumov macht Emigration wieder konkret. Sein Publikum holt der erst 24-jährige Künstler buchstäblich auf den Boden von Tatsachen: auf einen nassen Acker, auf dem sich 21 Frauen, Männer und Kinder in einen viertürigen Wagen quetschen wollen.

Das wunderbare Video läuft in der Galerie Kromus + Zink (Edition 8, 3000 Euro) und erzählt von einer Kindheitserinnerung des Künstlers aus Tschetschenien. Auf nebliger Flur tauchen hinter kahlen Büschen immer mehr Personen auf und gehen auf das weiße Auto zu. Die Kinder und alten Frauen steigen zuerst ein, danach die betagten Männer mit Fellkappen, dann schieben, legen, pressen sich die Jüngeren hinein. Der Wagen startet, doch zwei Frauen stehen noch draußen, der Wagen stoppt, auch sie passen hinein, ein Mann kontrolliert die Türen, setzt sich hinter das Lenkrad, und tatsächlich bleibt das Auto nicht im Acker stecken, sondern rollt an. Das Ganze ist in vier Minuten geschafft. So soll es tatsächlich gewesen sein, als Gaisumovs Familie 1995 vor dem Krieg aus Grosny floh.

Die Themen Flucht und Krieg sind präsent

Arbeiten zu Krieg und Flucht sind in Berliner Galerien derzeit viele zu sehen. Sie beherrschen nicht das Bild, aber sie sind präsent. So stellt das Duo Slavs and Tatars, das gerade für den Preis der Nationalgalerie 2015 nominiert war, in der Galerie Kraupa-Tuskany Zeidler unter anderem zwei spiegelverkehrte Faksimiledrucke auf Platten polierten Stahls aus. Sie zeigen vergrößerte Titelblätter der im Deutschen Reich verlegten Umerziehungszeitschrift „El-Dschihad“, die in Wünsdorf inhaftierte muslimische Kriegsgefangene während des Ersten Weltkriegs erhielten. Bei Kuckei + Kuckei präsentiert der südafrikanische Fotograf Guy Tillim neue Diptychen mit Stadtansichten, darunter Aufnahmen aus Addis Abeba: Sie verdichten den Alltag der Hauptstadt eines in Grenzkonflikte verstrickten Landes zu einem spannungsgeladenen Neben- und Ineinander unterschiedlichster Interessen der Passanten. Und in der Schau amerikanischer Gegenwartskünstlerinnen bei Sprüth Magers bezeugt Jenny Holzers Band mit Leuchtschrift die feministische Kritik der neunziger Jahre an Männlichkeitswahn und Militarismus.

Das Wiedersehen mit solch einer Arbeit verdeutlicht, wie selten heutige Kunst Einspruch gegen Krieg direkt erhebt. In Zeiten digitaler Sofortempörung scheinen andere Strategien produktiver zu sein: die Analyse, Nachbildung und Neuerzählung kriegerischen Geschehens. Der Maler Ivan Grubanov hat auf verschlüsselten Internetseiten nach Organigrammen von Armeen recherchieren lassen. Er erhielt Einsatzpläne, Schemata von Befehlswegen und Kommandoebenen, auch der Nato. Die Pläne hat er in engem Zickzackstich auf Leinwände nähen lassen und darüber wolkige Farbschichten in gedämpften Tönen aufgetragen. Wie Narben drücken sich die Nähte nun durch die Farbe. Grubanovs neue Werkgruppe, die er in der Galerie Loock ausstellt (Preise: 15 000 -25 000 Euro), heißt „Behind the Smokescreen“: Hinter dem Rauch der Bomben stecken aufwendige Organisationen, plötzlich anmutende Einsätze sind Resultat einer langen Befehlskette.

Videos zeigen Hinterlassenschaften der Opfer

Grubanov, 1976 geboren, erlebte als junger Mann die Bombardierung Belgrads. elja Kameric, ebenfalls 1976 geboren, erlebte die Belagerung Sarajevos. Kameric hat soeben für eine Londoner Ausstellung über Forensik ein Kabinett in Gestalt eines Leichenkühlhauses gebaut. Darin laufen 2000 Kurzvideos, die neben Fotos und Filmen von Zeitzeugen des Bosnienkrieges Hinterlassenschaften von Opfern, Tatorte, Massengräber, Skelette und Gebisse zeigen. Kameric hat gefilmt, was Forensiker untersuchen. Ungleich anmutiger und doch von ähnlicher Aussage ist ihre zwölfteilige Fotoserie „Existence“, die sie jetzt in der Galerie Tanja Wagner zeigt (Ed. 3, 35 000 Euro). Auf Holz-, Marmor- und Granitplatten hat sie Erinnerungsstücke aus ihrem Besitz arrangiert, Ketten, Löffel, Filmrollen, Knöpfe, ein altes Vogelnest. Nostalgisch könnte das wirken, doch Kameric hat wie eine Forensikerin die Gegenstände mit nüchternen Ziffern versehen. Die entsprechenden Erläuterungen stehen rechts neben den Fotos auf festem Papier, etwa „Anarchie-Anhänger, ein Geschenk von jemandem, oder auch nicht?“. Offensichtlich ist auf das Gedächtnis kein Verlass. Doch ob die Erinnerungen trügen oder nicht: Die Gegenwart steckt voller Relikte, die Eingang in die Zukunft finden werden - sei es gehütet wie ein Schmuckstück, sei es im Kühlschrank vergessen wie Kamerics Filmrolle oder auf einer Mülldeponie verdampft. Nichts lässt sich ungeschehen machen. Es wirkt über Generationen fort.

Aslan Gaisumov aus Tschetschenien stellt sich der Vergangenheit mittels Humor. Filmaufnahmen von den pompösen Neubauten des Nachkriegs-Grosny unterlegt er mit fröhlich schmetternder Musik sowjetischer Propagandafilme. Und auf eine Metallkonstruktion an der Wand lässt er nach und nach die Postkarten anbringen, die er per Einschreiben aus Grosny an seine Berliner Galerie schickt. Sie zeigen zerschossene Gebäude im Sonnenschein. Ein Verlag in Tschetschenien hat sie in Zeiten relativer Autonomie drucken lassen, da galten die Ruinen als Symbol für eine Unabhängigkeit von Russland. Mitte September steckten erst zwei Karten in den Haltern. Post aus Grosny, sagt eine Galerie-Mitarbeiterin, braucht bis zu sechs Wochen.

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