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Kultur: Kritik der Mitbestimmung

KLASSIK

Sitzen vier im Kreis. Drei Männer, eine Frau, alle wohl Anfang dreißig, sympathisch, gescheit und quicklebendig. Könnte eine WG sein, die einen neuen Mitbewohner sucht. Ist aber ein Streichquartett, eines von Deutschlands besten. Preise zuhauf hat das Artemis-Quartett bei Wettbewerben und für seine CDs in den letzten Jahren abgeräumt, und man merkt im Kammermusiksaal gleich, wie gut die vier aufeinander eingespielt sind. Beethovens zum Quartett arrangierte kleine Klaviersonate Opus 14,1 rollt ab wie geschmiert, als frisches Geplänkel, mit keck hingeworfenen Phrasen; ein launiges Frage-und-Antwort-Spiel zum Zeitvertreib. Bei György Kurtágs „Mikroludien“ wird der Tonfall schon ernster, die Intensität stärker. Doch auch das ist Vorspiel. Denn man wartet tatsächlich auf einen Gast: Für Mozarts Klarinettenquintett wird noch ein Hocker in die Runde gestellt. Die Klarinettistin Sharon Kam kommt dazu, doch schnell wird klar, dass sie zu diesen vier lebhaft miteinander dialogisierenden Streichern nicht passen will. Mit ihrem makel- und kantenlosen Edelton spielt sie für sich allein, beantwortet die zugespitzten Themenfloskeln, mit denen das Quartett sie aus der Reserve locken will, nur mit artigem Gleichmut. Als WG-Partnerin würde sie damit vermutlich ebenso durchfallen wie ein Starmodell in einer Studenten-Bude. So bleibt man unter sich und wagt sich an Dvoráks Streichquartett Opus 106. Dessen romantischer Ton und musikantische Gelassenheit liegt den intellektuellen Artemis-Musikern noch fern. Ihr an Klassik und Moderne geschultes Ideal heißt gleichberechtigtes Musizieren. Doch wo alle mitreden und keiner den Ton angibt, stellen sich Überschwang und großer Bogen schwer ein. Bleiben schöne Momente, die sagen: Wir arbeiten dran.

Jörg Königsdorf

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