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Der Norden rückt näher. Vor den Bergmassiven der Lofoten-Inseln weht die norwegische Flagge.

© imago

Kultur im hohen Norden Norwegens: Kabeljau und Airbnb

Naturschutz und ein Kunst-Festival auf den Lofoten – und was Kaiser Wilhelm II. damit zu tun hat.

Ein verlassenes Zeitungsbüro. Wir befinden uns nördlich des Polarkreises, der Blick hinaus über den ruhigen Hafen im Dämmerlicht ist ergreifend. 50 Menschen sitzen an einem langen Tisch, mit großen schwarzen Eimern voller Kartoffeln, Messern und Kartoffelschälern. João Pedro Vale und Nuno Alexandre Ferreira weisen uns ins fachmännische Kleinhacken der Knollen ein.

Als Teil einer Reihe von Performances mit dem Titel „Semiotics of the Cod“ bereiten die beiden portugiesischen Künstler mit ihrem Publikum Bacalhau zu. Da hören wir plötzlich ein lautes Tuten. Ein Schiff der Hurtigruten, der norwegische Küstenexpress, legt an. Willkommen in Svolvær, beim „Lofoten International Art Festival 2019“.

Die lange Reise des Kabeljaus

Auch der getrocknete Kabeljau hat eine lange Reise hinter sich. Er wurde in Lissabon gekauft und nach Norwegen zurückgebracht, wo er ursprünglich gefangen worden war. Während wir in den Töpfen rühren und den Eintopf erhitzen, sehen wir grobkörnige Filme von tapferen Fischern und hören Geschichten, wie Kabeljau immer schwerer zu fangen und nun viel teurer geworden ist. Geschichten über seine Bedeutung in der portugiesischen Kultur, über die portugiesischen Fischersfrauen, die Varinas, die ihre Waren auf Lissabons Straßen verkauften, und die Männer, die sich zwischen Wehrdienst in Angola oder sieben Jahren auf einem Trawler zu entscheiden hatten. Am bizarrsten sind die Geschichten von den zehnjährigen Jungen von den Lofoten, die in gelbes Regenzeug und knallblaue Handschuhe gehüllt fürchterlich scharf aussehende Klingen schwingen. Es handelt sich um Teilnehmer der Weltmeisterschaft im Kabeljauzungen-Entfernen.

Dieser abgelegene Ort ist reich und seltsam. Der Klimawandel ist das Hauptthemen des Lofoten-Festivals. Es liegt eine Ironie darin, überhaupt hier zu sein, angesichts des Kohlenstoff-Fußabdruckes, den wir durch unsere Flugreise auf die Lofoten hinterlassen. Wir müssen nicht lange warten, um an unsere Schuld erinnert zu werden. Im Kino sehen wir „Shallow Water Blackout“, einen Film des Regisseurs Trygve Luktvasslimo. Menschen auf einer Luxuskreuzfahrt mokieren sich darin über die globale Erwärmung. Sie sagen Dinge wie: „Es ist schlecht für die Bauern, aber meine Bräune war nie tiefer.“ Zwei Kinder, Amelia und Steven, hören mit Grauen zu. Amelia hat eine flüchtige Ähnlichkeit mit Greta Thunberg, und nachdem sie so viel Blödsinn von den Eltern gehört hat, explodiert sie: „Wir wollen, dass ihr in Panik geratet, weil wir jeden Tag Angst spüren.“ Steven, der sein Haar kobaltblau gefärbt hat, ist beißend lakonisch: „Ihr seid schon tot.“ Der Titel von Luktvasslimos Film bezieht sich auf einen Begriff aus der Tauchersprache – Freitauchen mit angehaltenem Atem, bei dem ein Schwimmer knapp unter der Wasseroberfläche das Bewusstsein verlieren kann. Der aberwitzige Sport wird mit den vorhersehbaren fatalen Auswirkungen von Treibhausgasen verglichen.

Flugscham und Naturspektakel

Sollten wir auf die Reise zu den Lofoten (80 Inseln, 24000 Einwohner) doch besser verzichten? Es gibt wenige derart anziehende Orte auf der Welt. Die Inseln sind mit einer überwältigenden nordischen Schönheit gesegnet. Gipfel für Gipfel steht da eine Skyline von Bergprofilen, geschnitzt und gekurvt wie die Vorderzähne eines furchterregenden Haies. Der Himmel wechselt seine Farbe zwischen Kanonengrau und leuchtendem Blau. Weißer Sand und geschwungene Buchten, Seeadler gleiten in Kreisen hoch über den klaren, seichten Wassern der Fjorde. Atemberaubend.

Aber woher kommt die Beliebtheit der Lofoten als Reiseziel? Wer ist verantwortlich für den Strom der Sommertouristen? Die Idee kam ursprünglich aus Berlin. Kaiser Wilhelm II. besuchte 1889 die Inseln. Heute ist der Keiservarden ein beliebter Wanderweg, auf dem man der kaiserlichen Spur folgen kann. Wilhelm II. kam einige Male wieder, und es ist faszinierend zu sehen, wie er überhaupt von den Lofoten erfuhr. Er besuchte in Berlin das Nordland-Panorama in der Wilhelmstraße 10 – ein riesiges Gemälde von 20 mal 110 Metern im Rund, ausgeführt von Josef Krieger und Johann Adalbert Heine. Dieses Werk erfand im Grunde den exotischen Norden als Urlaubsziel. Reproduktionen von Dokumenten der Stiftung Stadtmuseum Berlin und eine von Krieger gemalte Studie aus dem Besitz des Salzburg Museums sind neben neueren Kunstwerken auf dem „Lofoten International Art Festival“ ausgestellt.

Können die Touristen etwas im Gegenzug zurückgeben für die Freuden, die die Inseln ihnen schenken? Ein alter Wohnwagen, der vor dem Gebäude der „Lofotposten“ steht, gibt einen Hinweis. Es ist eine Arbeit von Katerina Šedá mit dem Titel „Something for Something“. Mit einer Geste, die bei den Berlinern sicher Anklang findet, hat die Künstlerin die Folgen des Phänomens Airbnb in den Blick genommen.

Auch hier sind Wohnungen schwer zu finden

Airbnb hat auch auf den Lofoten eine unglückliche Nebenwirkung: Menschen, die tatsächlich auf den Inseln leben und arbeiten, finden nur schwer eine Mietwohnung. Šedá untergräbt dieses Problem subtil, indem sie den Wohnwagen für Touristen gratis anbietet, die über Nacht bleiben, sofern sie zustimmen, dass sie etwas Gutes für die Gemeinschaft tun. Diese Variante einer alten Idee erinnert an die Praxis des Potlatch, die bei verschiedenen indigenen Völkern, die einst im hohen Norden lebten, sehr verbreitet war.

Das Festival findet seinen Höhepunkt in einer Party mit elektronischer Musik – zu psychedelischen Bildern von Seetang und Seeigeln. Wir treffen einen John-Lennon-Fan, der wie ein Wikinger aussieht, und eine fröhliche Frau, die einen Ohrring mit der Aufschrift „Bourgeois“ trägt. Es ist die ehemalige Bürgermeisterin von Spitzbergen und „hier unten“ zu Besuch.

John Quin

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