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Kultur: Kunst im Overkill

Aber welche Bilder sollen hinein? Und wann ist Fotografie Kunst?

Aber welche Bilder sollen hinein? Und wann ist Fotografie Kunst? Ein Symposium diskutierte über Sinn und FormenRonald Berg

Es scheint, dass das 160 Jahre alte Medium Fotografie erst in seinem Verschwinden so richtig in den Blick rückt. Herausgefordert durch Film und Fernsehen und nun tödlich bedroht durch das digitale Bild, wird die klassische Fotografie wohl nur als Arbeitsmittel einiger Künstler und im Museum überleben. Wie ein solches Museum auszusehen habe, war Thema eines von der Deutschen Gesellschaft für Photographie DGPh) und der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) veranstalteten Symposiums mit dem Titel "Fotografie im Zentrum - Centrum für Photographie". Das Interesse für ein Fotomuseum ist groß: Beim Symposium war das Audimax der Humboldt Universität am Wochenende gut gefüllt.

Dem neuen Namen zum Trotz wird das "Deutsche Centrum für Photographie", das die Stiftung Preußischer Kulturbesitz im östlichen Stülerbau plant, wohl ein Museum alter Schule werden. Das legten die Ausführungen von Manfred Heiting, Fotosammler, ehemaliger Leiter der Photokina Bilderschauen in Köln und nun Projektleiter des Centrums, nahe. Zwar sprach er von "Schule des Sehens" und "Kompetenzzentrum", wohin die Reise geht, zeigt jedoch seine Absicht, die Archive von Helmut Newton und des Modefotografen Horst P. Horst zu erwerben. Der eigentliche Grundstock des Centrums aber soll sich aus den etwa zehn Millionen Fotos der anderen Museen der Stiftung, der Kunstbibliothek und dem Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz zusammensetzen. Bei den ehemaligen Besitzern sollen nur digitale Kopien verbleiben. Etwa eine Million Bilder will Heiting in das Centrum übernehmen, aufarbeiten und konservatorisch betreuen lassen. Dennoch sind schon jetzt Lücken abzusehen, beispielsweise bei der amerikanischen Fotografie. Neuerwerbungen mit Hilfe von Sponsoren sollen diesem Manko abhelfen.

Peter-Klaus Schuster, Generaldirektor der Preußenstiftung, referierte die Vorgeschichte der Centrums-Idee: Erste Überlegungen hatte der damalige Generaldirektor Wolf-Dieter Dube angeblich schon Mitte der achtziger Jahre angestellt. Hätte sich Heinz Berggruen wegen des Auszug des Ägyptischen Museums nicht um eine neue, angemessene Nachbarschaft zu seinen im westliche Stülerbau beheimateten Picassos Sorgen gemacht, wäre in Sachen Centrum wohl auch weiterhin nicht viel passiert. Es war Dube-Freund Dieter Appelt, Fotokünstler und Dekan an der Hochschule der Künste, der schließlich Heiting als Projektleiter empfahl.

Von der Aussicht, vom Centrum um einen Teil ihrer Bestände beraubt zu werden, waren die Vertreter des Völkerkundemuseums und des Bildarchivs der Preußenstiftung nicht gerade begeistert. Überraschenderweise hatte Heiting mit den Betroffenen bisher keinen Kontakt aufgenommen. Er versuchte, ihre Befürchtungen zu beruhigen, indem er darauf hinwies, dass er den Aufbau des Centrums in enger Kooperation mit den Institutionen der Stiftung anstrebe. Daneben werde eine Zusammenarbeit mit der Berlinischen Galerie sowie mit auswärtigen privaten Sammlern und Museen angestrebt.

Vom Publikum kritisiert wurden der Name "Deutsches Centrum für Photographie", der Sponsoren eine nationale Bedeutung des Museums suggerieren solle und die Fixierung auf die sogenannten Vintage Prints (unmittelbar nach Entstehen der Aufnahme gemachte Abzüge). Die Fotografie werde durch die Beschränkung auf Prints unzulässig eingegrenzt. Der Berliner Kunstwissenschaftler Andreas Haus erinnerte daran, dass die Fotografie uns in fast allen Fällen als Reproduktion gegenübertritt. Ihre unendliche Reproduzierbarkeit gehöre zu ihrem Wesen. Flip Bool, Direktor des Nederlands Foto Archief, betonte außerdem das Schwinden der Grenzen zwischen den Bildmedien. Angesichts des medientechnischen Overkills während des Symposiums konnte man Bool nur zustimmen: Videobeamer und -kameras, Lautsprecher, Mikrofone, Dia- und Overheadprojektoren, Computeranimationen kamen zum Einsatz, nur eben keine einzige echte Fotografie.

Ute Eskildsen vom Folkwang Museum in Essen plädierte deshalb gleich ganz für ein virtuelles Museum. Statt eines Zentrums Dezentralisierung, statt Selektion Vernetzung, schlug sie vor. "Mein Interesse", so Eskildsen, "gilt der Erhaltung von gewachsenen Sammlungen." Nur so könne man die verschiedenen Gebrauchsweisen der Fotografie erforschen.

Die anwesenden Künstler bemängelten vor allem die Ignoranz des Centrums gegenüber der zeitgenössischen fotografischen Kunst, die dem Hamburger Bahnhof überlassen werden soll. Vehement verteidigte Heiting dagegen seine Idee von der künstlerischen Fotografie als originalem Meisterwerk, dem sich das Centrum allein zu widmen habe. Andere Museen wie das Fotomuseum Winterthur haben eine solche Selektion längst aufgegeben. Wie dessen Leiter Urs Stahel berichtete, sei seine Institution ebenso für Industriefotografie wie für zeitgenössische Kunst mit Fotografie offen, wobei die Präsentationsformen individuell wechselten. James Enyeart, ehemaliger Direktor des George Eastman House im amerikanischen Rochester, riet dringend, Konventionen zu vermeiden. Bestehende Bedürfnisse würden so in der Regel nicht befriedigt. Amanda Nevill, die ihr National Museum of Photography, Film and Televison durch Öffnung zur Popkultur zu einem Publikumsmagneten gemacht hat, rief gegen Ende des Symposiums aus: "Just do it!".

Schließlich war man sich bei aller Kritik auf dem Podium wie im Publikum darüber einig, dass ein Fotomuseum notwendig ist. Berlin fehlt derzeit ein Ort für große internationale Fotoausstellungen. Von einem "Centrum für Photographie" darf man erwarten, dass es mehr als eine Touristenfalle oder ein Schatzkästlein sein wird. Es fehle eine Forschungsstätte zur Fotografie, meinte der Berliner Fotohistoriker Enno Kaufhold. Er betonte die mangelnde Kompetenz gerade der Kunsthistoriker im Umgang mit dem Medium. Weil gute Lehr- und Ausbildungsstätten fehlten, herrsche ein allgemeiner Bildanalphabetismus. Vielleicht sogar bei Museumsleuten? Immerhin fragte Walter Benjamin schon vor siebzig Jahrent, ob nicht mit dem Aufkommen der Fotografie der Gesamtcharakter der Kunst sich ändern müsse. Insofern legt die Frage nach einem Centrum für Photographie Feuer an die Lunte der gängigen Musealisierung der Kunst nach Schulen, Meistern, Stilen. Die Fachwelt - das zeigte das Symposium - erwartet vom zukünftigen Centrum etwas anderes. © 1999

Ronald Berg

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