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KUNST Stücke: Die andere Seite

Weiße Federn, weiße Spitzen, weißer Taft: Das Brautkleid schimmert festlich, aber es hängt an einem Galgenstrick. Die Künstlerin Delaine Le Bas aus dem englischen Sussex ist der Geschichte der Hexenjagd nachgegangen.

Weiße Federn, weiße Spitzen, weißer Taft: Das Brautkleid schimmert festlich, aber es hängt an einem Galgenstrick. Die Künstlerin Delaine Le Bas aus dem englischen Sussex ist der Geschichte der Hexenjagd nachgegangen. In der zweiten Ausstellung der Galerie Kai Dikhas zeigt sie Szenen der Verfolgung (Aufbau Haus am Moritzplatz, bis 19. August). In der Sprache der Roma bedeutet Kai Dikhas „Ort des Sehens“. Die Galerie gehört Matthias Koch, dem Eigentümer des Aufbau Verlages, der die zeitgenössische Kunst von Sinti und Roma bekannt machen möchte. In einem Zelt liegt eine weibliche Gestalt auf dem Teppich, kultische Stickbilder auf Stoff umgeben die Figur. Das Dach der kleinen Kapelle ist durchlöchert, sie bietet keinen Schutz mehr (25 000 €). Delaine Le Bas, die 2007 im Roma-Pavillon der Biennale von Venedig ausgestellt hat, begann ihre Recherche mit dem Begriff des Sündenbocks. Als die Konservativen in Großbritannien im Wahlkampf 2005 die Stimmung gegen sogenannte traveller anheizten, fanden sich auch am Wohnplatz ihrer Eltern aggressive Graffiti. Die Künstlerin kehrt die hysterische Hexenjagd um in einen strahlenden Gegenangriff. Sie hat Mode und Textilgestaltung studiert, stickt ihre Bilder mit Pailletten auf Nessel, nutzt bunte Bänder und Raubkatzenmuster. „Tiger.Tiger“ heißt ein magisches Selbstporträt – eine Doppelbelichtung, bei der sich das Gesicht der Künstlerin und der Kopf eines Tigers überlagern (300 €). Die großen Installationen offenbaren das Thema zu explizit. Aber im kleinen Format entwickeln die Arbeiten Intensität. In ihren kräftigen Farben, der Lust an Materialien, im provokanten Spiel mit der Fremdheit wirkt die Kunst ungebrochen.

Gebrochene Männer porträtiert der amerikanische Fotograf Alec Soth in der Wüste, im Busch, in Höhlen oder auf dem Schrottplatz. Für seine Serie „Broken Manual“ hat er Aussteiger, Einsiedler, Überlebenskünstler besucht. Die Galerie Loock zeigt die komplexe Serie in der Halle am Wasser (Invalidenstraße 50/51, bis 23. Juli). Ihm gehe es, sagt Soth in dem begleitenden Film, um die Sehnsucht nach der Zivilisationsflucht. Der Künstler will seiner eigenen Kinderphantasie auf die Spur kommen, als er davon träumte, sich im Wald zu verstecken und allein zu überleben. Die Outlaws geben sich martialisch und autark. Sie haben sich eine Existenz jenseits der Konventionen erschaffen und verwirklichen zugleich einen Teil des amerikanischen Traums. Schon der Philosoph Henry David Thoreau schwärmte vom selbstbestimmten Leben in der Natur. Aber Alec Soth trifft die Eigenbrötler im Moment ihrer Verletzlichkeit. Ein Riese mit rotem Vollbart hat seinen Kopf auf Moos gebettet (6000 $). Ein nackter junger Mann mit Hakenkreuz-Tattoo entsteigt einem Seerosenteich (28 000 $). Ein Krieger im Tarnanzug streichelt die Katze auf seinem Arm (15 000 $). Am sicheren Ort ihrer Zuflucht geben die Männer ihre Verwundungen preis und zeigen sich schwach. Im Hintergrund eröffnet sich mit der grandiosen Natur das ganze Panorama der Sehnsuchtsbilder. Mit fast zärtlichem Einfühlungsvermögen erspürt Soth die Phantasieräume, die sich die Aussteiger erschaffen haben. Dabei hinterfragt er subtil die Klischees von Virilität und fördert in seinen Bildern männliche Traumwelten als Gegenentwurf zutage.

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