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KUNST Stücke: Phantome

Was wäre, wenn die ganze Welt rot wäre? Keine braunen Blätter an den Bäumen, kein fahles Wintergras, kein schwarzer Asphalt.

Was wäre, wenn die ganze Welt rot wäre? Keine braunen Blätter an den Bäumen, kein fahles Wintergras, kein schwarzer Asphalt. Der Berliner Künstler Gerd Rohling spielt das Szenario in seiner übermütigen Ausstellung Rouge in der Galerie Florent Tosin (Potsdamer Straße 81 C, bis 23. April) durch. In einem Video zeigt er, wie das Rot in die Welt kommt. Aus feuerroten Gläsern schüttet Rohling die Farbpigmente auf eine Spiegelplatte, zieht sie durch ein Röhrchen wie Koks und bläst sie dann mit einer Flüstertüte vom Dach in den Himmel. Die Wolken färben sich rot, die Antennen und Satellitenschüsseln verbreiten die Farbe über den Äther, die Faxgeräte spucken nur noch rote Botschaften aus.

Florent Tosin hat lange für die Galerie Carlier/Gebauer gearbeitet, ehe er im Oktober 2010 eigene Räume auf dem ehemaligen Gelände des „Tagesspiegel“ eröffnete. Mit Gerd Rohling wiederum verbinden viele Besucher jene Vitrinen, mit denen er vergangenes Jahr im Hamburger Bahnhof Aufmerksamkeit erregte. Da standen scheinbar kostbare Gläser in Form römischer Trinkgefäße, hinterleuchtet wie archäologische Schätze. Tatsächlich bestanden sie jedoch aus billigen Plastikteilen. Jetzt hat der Künstler die strahlend roten Pigmentbehälter in seine Vitrinen gestellt, dazu das Röhrchen, um die Farbe zu inhalieren, das Handy mit dem roten Display – das ganze Set, um die Welt zu entflammen (35000 Euro). Daneben rotiert ein Plattenspieler mit roter Schallplatte (36000 Euro). Wieder lässt Rohling banale Objekte geheimnisvoll schimmern. Auf der Potsdamer Straße sind seine ersten Erfolge zu bewundern: Die Ampeln, die Stoppschilder, die Rücklichter der Autos – alles leuchtet schon rot.

Was wäre, wenn die ganze Welt bevölkert wäre von Gespenstern und Schatten, die uns bei der Arbeit über die Schulter schauen? Auch der Schweizer Künstler Martin Städeli baut fragile Körper aus billigem Material, aus Holzlatten und Zeitungspapier. Bei Vittorio Manalese treibt ein ganzer Stamm von Flattergeistern sein Unwesen (Helmholtzstraße 2-9, bis 2. April, Preise auf Anfrage). Hinter dem finsteren Namen des Film-Mafioso verbirgt sich die Tümmler-Schule des Galeristen Bruno Brunnet. Im Lager der Galerie erhalten Künstler eine Probebühne, ehe sie möglicherweise bei CFA zu dicken Fischen werden. Städeli, 1962 in Basel geboren, hat in Berlin bei Dieter Appelt studiert. Anfangs kommentierten die Papierphantome nur seine Malerei. Inzwischen haben sie vom ganzen Werk Besitz ergriffen. Mit Vogelfüßen und Stelzenbeinen, die Gesichter wie Brokkoli, scheinen sie aus anderen Zeiten eingeflogen. Die Commedia dell’arte hat deutlich Pate gestanden. Aber diese Kobolde bestehen aus der Zeitung von gestern. Sie tragen Aktienkurse als Pluderhose und Stellenangebote als Wams. Ihre Körpersprache lässt sie beredt und lebendig erscheinen. Da lungern Tröpfe und arme Schlucker herum, Klatschbasen schütten sich aus vor Lachen, da wundert sich ein Gnom. Manche tragen Haare auf dem Kopf, wie Fetische in animistischen Gesellschaften, in denen die Verstorbenen weiterleben. Städelis Geister bleiben flüchtig und leicht. Dreht man sich um, könnten sie verschwunden sein.

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