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KUNST Stücke: Risiko!

thea Herold besichtigt Orte, die halbe Baustellen sind

Unvorhersehbarkeit gehört wahrscheinlich zu den kostbarsten und dabei meist unterschätzten Eigenheiten der Kunst. Der polnische Künstler Pawel Polus ging in vielfacher Hinsicht ein intellektuell ästhetisches Risiko ein. Zum einen arbeitete er sich so beherrscht wie unbeirrbar an seiner individuellen Neuinterpretation der suprematistischen Kunstsprache ab. Er forscht das aus. Alle Feinheiten, die sich aus Schraffur und Strichführung, Pigment- und Pinselhaardifferenzen ergeben, sind ihm das eigene Erleben und die Selbsterfahrung wert. Das „Schwarze Quadrat“ des Kasimir Malewitsch und die „black paintings“ von Ad Reinhardt geben ihm für den selbst gestellten Auftrag gleichermaßen Halt und Anstoß. Als nicht eben leichte Wegbegleiter durch wortfreie Schwarzflächen stehen zu Hause die philosophischen Schriften, von Wittgenstein bis Kundera, zur Seite. Und last but not least implantierte er seiner Berliner Installation in der Galerie Emerson einzelne Flächen aus der Reihe seiner poetisch meditativen Schwarzstücke mit einem Hauch von Ironie mitten in altes Ornament, hat es golden gerahmt und schicklich ergänzt mit einer lebenden Blume. Völlig rätselhaft, dass dieses große wie reflektierte Talent aus der Kunstakademie in Poszan sich auflädt, die größte Arbeit, einen schwarzen Kreis als „work in progress“ anzugehen: Es startete während der Vernissage und coram publico. Das bisherige Ergebnis lehnt an der Wand. Noch „under construction“, aber schon einladend – und fertig genug (Gartenstr. 1, bis 2. August).

Paradox: Wir glauben etwas zu kennen, und dann ist es doch wieder anders. So passierte es bei der Ausstellung „Netze“. Prima Titel, war der erste Gedanke, der Berliner Maler Christian Rothmann, 1954 geboren, lebt ja bekanntlich als globaler Netzwerker. Freilich war er das immer. Von Natur und schon zu Zeiten, als wir das Worldwideweb noch gar nicht kannten. Was sich nun aber in den Lebenslandkarten und in seinen poetischen Wegweiser-Bildern artikuliert – ein Weg vom Regenbogenbunt bis ins Schwarz und zurück –, das überrascht selbst jene, denen seine Arbeit seit Jahrzehnten vertraut ist. Einer davon: Wim Wenders. Er hatte schon 1988 als trainierter Augenmensch und Filmemacher den Farbrausch auf Rothmanns Bildern bejubelt. Tatsächlich ging seine Wahrsagung von Jahr zu Jahr mehr in Erfüllung. Nur in einer Behauptung irrte er: „Einleuchtend“, nein das sind die nächtlichen Navigationen und Tagesprotokolle in Rothmanns Aquarellen, Leinwänden und Serigrafien all die Jahre nicht geworden. Wie denn auch. Wenn man die Koordinaten der inneren Reisen entziffern will, könnte man sich bestenfalls an die Titel halten: „Russisch Grün“, „Seil-Tänze“ oder „Uferglück“. Die Jahre zurückblätternde Zusammenstellung ist nicht zuletzt dem kundigen Blick von Françoise Andrieu zu verdanken. Zwar sieht sie ihre im Frühjahr eröffnete Galerie Andrieu noch als Ort „under construction“ Aber Rothmanns Malerei holte sie sich zielsicher aus dem Kreuzberger Atelier. Dorther, wo er die Farben mischt, Bewegung streut, den eigenen Rhythmus kennt und wechselt, deshalb durchhält und alles zusammen – mit Atem und Herzblut – virtuos und unfertig auf der Leinwand auslädt (bis 18. Juli, Christburger Str. 25. Künstlergespräch und Grillen am letzten Tag).

thea Herold

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