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KUNST Stücke: Über Kreuz

Optisches Fasten könnte in der vierzigtägigen Phase zwischen Aschermittwoch und Ostern vielleicht so aussehen: Weniger Bilder ansehen, aber die wenigen genauer betrachten. Ausnahmsweise nicht im geselligen Gewühl.

Optisches Fasten könnte in der vierzigtägigen Phase zwischen Aschermittwoch und Ostern vielleicht so aussehen: Weniger Bilder ansehen, aber die wenigen genauer betrachten. Ausnahmsweise nicht im geselligen Gewühl. Im altehrwürdigen Kirchengestühl der Paul-Gerhardt- Kirche (Wisbyer Str. 7, bis 22. April) kann man derzeit so einen Moment der Versenkung erleben und dabei etwas unvermutet Neues entdecken.

Üblicherweise fällt der Blick an diesem Ort auf das Altarbild von Gerhard Noack aus dem Jahr 1910, mit einem strahlend auferstandenen Christus in Manier der Spätnazarener. Dieser Tage ist es verhüllt – bis zur Osternacht. Zum ersten Mal hat die evangelische Kirchengemeinde Prenzlauer Berlin Nord die alte Tradition der Fastentücher aufgenommen, die vierzig Tage lang den Altarraum verhüllen. Seit Anfang März verdeckt eine Arbeit der Berliner Malerin Sabine Herrmann nun die Jesus-Darstellung. Auf unbehandelter Jute bearbeitete sie die Textur mit Kreide, Pigment und in Acryltechnik so, dass das Bild im Fernblick selbst wie ein Fastentuch wirkt. Im Kreuz, das sich schemenhaft und unvollständig aus den feinen Pinselstrichen zusammensetzt, verweben sich die Farben Blau, Weiß, rötliche Tönungen und Schwarz. Der Farbkanon des Kircheninnenraumes spiegelt sich darin, der Raum wahrt in der Stille eines Nachmittages so seinen eigenen Ton: Die Stadt bleibt mit all ihrem Lärm und Leidenschaften draußen. Es ist wirklich ein Moment, der an Geschichte, Leiden und Passionen gemahnt. Daran, dass jeder von uns einer Passion folgt. Auf die eine oder andere Weise.

Auch in der St.-Matthäus-Kirche im Berliner Kulturforum hört man das Rauschen vom Durchgangsverkehr der Potsdamer Straße nur gedämpft. Kaum ein anderer Ort in Berlin hat sich so dem Auftrag gewidmet, Kirche und die zeitgenössische Kunst zusammenzubringen. Für die Ausstellung „Passionen“ wurden Skulpturen von Holzschnitzern der naiven Kunst aus Polen der Sammlung Hans-Joachim Schauß ausgewählt. Jede von ihnen erinnert an Trauer und Wehmut, an schmerzhafte Erinnerungen als Ablagerungen der Zeit. Denn auch wenn jede Generation diese Emotionen in anderer Weise erlebt, erspart werden sie keinem. Bis Ostersonntag krönt in ähnlich klarer und konzentrierter Reife „das andere Altarbild“ von Jan Skoczylas die Auswahl polnischer Holzskulpturen. Sein Kruzifix hängt frei und wird von zwei Schattenwürfen links und rechter Hand eingefasst. Wie das Antlitz das Leid nachzeichnet, so wird es von den beiden Schattenbildern wieder aufgehoben. Und es erinnert daran, dass wir alle nur in Gemeinschaften die Aufgaben des Lebens bestehen (Matthäikirchplatz, bis 22. April).

Thea Herold

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