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KUNST Stücke: Wundertüte

Thea Herold sieht Kunstwerken beim Wachsen zu.

Skulpturen von Sophie Schmidt sind ein wunderbarer Beweis dafür, dass es Kunst gibt, die wächst. Nun hängt, ob wir etwas für groß oder klein halten, von unseren Sehgewohnheiten ab. Wenn es zum Beispiel um das Metermaß einer Schneiderin geht, vermutet man erfahrungsgemäß ein handliches Werkzeug. Eine Mülltüte lässt sich mit einer Hand tragen, und für eine Sporttasche reicht eine Schulter. Wenn nun aber die 1969 geborene Künstlerin diese drei Alltagsdinge in Papier nachempfindet (1500–7500 Euro), sie mit Achtsamkeit für jedes Detail in skulpturale Objekte verwandelt, dann multipliziert sie die Dimensionen in vieler Hinsicht. Ihre Sporttasche lässt sich jetzt als Minicontainer oder Riesenbox beschreiben; je nachdem reicht sie faktisch vom Boden bis zur Taille. Das Maßband hat seine Größe sogar versechzehnfacht und windet sich ebenso monumental wie graziös durch den Raum der Galerie Jarmuscheck & Partner (Invalidenstraße 50/51, Halle am Wasser, bis 25. April). Und die bombastische Mülltüte in der Ecke wirkt wie aus der Besenkammer eines Riesen entlehnt. Das städtische Utensil aus Bern fasst als Original 17 Liter. Dagegen passt in die Kunsttüte von Sophie Schmidt, auf die Außenhaut dieser prächtig aufgeblasene Papierversion, ein ganzer marmorierter Nachthimmel, der sich über die Silhouette von Bern spannt. Wie hier eine witzige Form von moderner Landschaftsmalerei erfunden wird, das ist klasse! Auch in ihrer dritten Einzelausstellung ist die Künstlerin weiter frech, frisch und überraschend. Dabei kommt alles, was sie uns vorstellt, im Grunde täglich vor unsere Augen. Wir sehen es nur nie – nie so.

Auf ebenso unglaubliche zwei Meter Größe wächst das geheimnisvolle Tulpenbukett der brasilianische Künstlerin Luzia Simons. Organische Überdimensionierung war uns ja nie geheuer. Luzia Simons hat aber keine Monsterzüchtung gepflanzt, nicht mal Blumenfotografien manipuliert, sondern: Sie hat die Tulpen erst gescannt und dann rigoros vergrößert (1900–8100 Euro). Wenn ihre Scannogramme jetzt in der Blumengalerie Brutto Gusto (Torstr. 175, bis 25. April) hängen, haben sie harte, hausgemachte Konkurrenz: Rund um Ostern locken hier prächtige Tulpenblüten, als „ready made“ in voller Farbenpracht. Wie unter der Lupe betrachtet wird die ursprüngliche Symbolik der Tulpe als Sinnbild des Lebens in den drei kunstvollen Tableaus auf die Probe gestellt: erdverbunden und ohne Schwermut. Sündhaft schön und erotisch. Die klassisch gemalten Tulpen von Ivar Kaasik und Mary Waters haben es dagegen schwer. Doch in Zeiten, da Abwrackprämien gezahlt werden, erinnern uns Tulpen in allen Versionen auch daran, dass sich seit 1637, dem Jahr des ersten Börsencrashs, wenig geändert hat. Weil Big Art in der Kunst immer auch mit Zuversicht, Maßhalten und Perspektive zu tun hat. An der Börse aber nie.

Thea Herold

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