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Die Installation "Wearing a bear" von Arnita  Jaunsubrēna im HAU.

© Charlotte Arens

Performing Arts Festival der freien Berliner Theaterszene: Kunstschere im Kopf

Berlins freie Theaterszene präsentiert sich beim Performing Arts Festival - und kuratiert eben jenen Wildwuchs, der bisher den Charme ausgemacht hat.

Das Lied hat Ohrwurmqualitäten: „Dort wo Ährenfelder rauschen, dort ja dort bin zuhaus’ “, lautet eine der sanft wogenden Zeilen, „fern der Heimat irr’ als Flüchtling in der Fremde ich umher.“ Der Klee blüht, die Sehnsucht ist bittersüß. Der Titel? Hat sich im Laufe der Jahrzehnte je nach Mode so gewandelt wie Text und Melodie. Schließlich handelt es sich um eine mündlich tradierte Weise aus dem Südmährischen. „Flüchtlingslied“, „Fern der Heimat“ oder schlicht „Heimatlied“ hieß sie schon. Ein Volkskundler mit Nazivergangenheit namens Johannes Künzig hat den Entwurzelungssong, der heute natürlich Assoziationen ganz eigener Art aufmacht, vor Zeiten für sein Tonarchiv gesammelt. Dem Lied heute aber nur als Konserve einer mindestens zwiespältigen Vertriebenen-Nostalgie zu lauschen, wäre doch zu wenig. Weswegen man im HAU mit einstimmen und inbrünstig von Ährenfeldern singen darf, während man über verblassende kollektive Erfahrungen sinniert. Herzerwärmend und diskursfördernd, was will man mehr?

„“ heißt tatsächlich der „performative Essay“, den Phoebe Wright-Spinks und Oliver Zahn als Beitrag zur Nachwuchsplattform des Performing Arts Festivals aufführen. Dieses PAF ist neues Schaufenster der Freien Szene Berlins, beziehungsweise: soll es werden. Im vergangenen Jahr ging ja die letzte Ausgabe des geschätzten „100 Grad“-Festivals über die Bühne. Das PAF ist Nachfolger – allerdings mit grundrenoviertem Konzept. Wo sich bislang jede und jeder anmelden und höchstens eine Stunde lang im HAU, in den Sophiensälen oder am Ballhaus Ost irgendwas mehr oder weniger Gekonntes performen durfte, sind nun kuratorische Schranken eingezogen. Wo bislang Wildwuchs bisweilen bizarre Blüten hervorbrachte, wird jetzt mit der Kunstschere im Kopf eingehegt. Hauptsache, kein Dilettantismus mehr. Die Angst ging um, die Freie Szene könne mit Krethi und Plethi von der Hinterzimmerbühne verwechselt werden. Klar ist das einerseits verständlich. Die Theater wussten beim „100 Grad“-Festival genauso wenig wie die Zuschauer, was sie erwartet. Ob sie sich, bildlich gesprochen, das gediegene Kammerorchester ins Haus holen oder die kotzende Punkrockkapelle. Was andererseits aber genau den Charme der Veranstaltung ausmachte.

Von vielen Spielstätten hat man aus gutem Grund noch nie gehört

Nun hat ein kuratorisches Bord aus dem Landesverband freie darstellende Künste (LAFT), HAU, Sophiensäle, Ballhaus Ost und Theaterdiscounter – aus 89 Bewerbungen 15 Beiträge für die dreitägige Nachwuchsplattform ausgewählt, die bis zum gestrigen Mittwoch auf das Festival eingestimmt hat. Diese Plattform ist vor allem für neu in Berlin angedockte Künstlerinnen und Künstler gedacht, denen zu breiterer Sichtbarkeit verholfen werden soll. So weit das Vorspiel.

Kommendes Wochenende folgt das Hauptprogramm, an dem sich bombastische 58 Spielstätten beteiligen. Darunter nicht wenige, von denen man aus gutem Grund noch nie gehört hat. Das Spektrum reicht vom HAU bis zum Statthaus Böcklerpark, von der Halle Tanzbühne bis zur Aula im Milchhof, vom Heimathafen Neukölln bis zur Studiobühne Alte Feuerwache. Gezeigt wird ein Mix aus neuen Produktionen und Repertoire, gerade die sogenannten Anker-Institutionen der Freien Szene nutzen die Gelegenheit, sich mit Erprobtem zu profilieren. So Gob Squad am HAU mit „Western Society“, und Markus&Markus mit „Ibsen: Peer Gynt“ in den Sophiensälen, am Theaterdiscounter führt Verena Unbehaun ihr Büromusical „Schlager als Chance: In meiner Bluse platzt die Primel“ auf.

Alles gut und schön. Auch bei der Nachwuchsplattform gab’s feine Arbeiten zu sehen. Etwa die Choreografie „Federn lassen“ von Sunia Asbach und Darko Radosavljev, die sich mit dem Sprungfedergerippe einer Matratze duellieren. Oder das hinreißende Solo „Unser Herr Kießling oder: Gedanken zur Situation Deutschlands“ von Felix Lüke. Und Oliver Zahn, dem jungen Regisseur von „“ steht bestimmt eine steile Karriere bevor, er ist auch gerade zum renommierten Festival Impulse eingeladen worden.

"100 Grad" war die Wundertüte, Performing Arts ist die Präsentationsmappe

Was andererseits genau zum Punkt des Unbehagens führt. Dem PAF geht es um Aufmerksamkeits-Ökonomien, Imagegewinn, (Selbst)vermarktung und Verkaufsförderung. Ein verlängerter Showcase für Berlins geballte Performance-Power. Gallery Weekend für die Freie Szene. Das Gros der Veranstaltungen ist mit dem Schlagwort „International“ ausgewiesen, was bedeutet, auch die französische Festivalmacherin und der kaukasische Kurator kapieren ohne Sprachbarriere, worum’s geht. „Internationalisierung“ und „Professionalisierung“ sind ja schon seit Langem Lieblingsvokabeln frei produzierender Künstlerinnen und Künstler.

Die haben nun einen letztlich erfolgreichen Kampf um Mittel vor allem aus der City Tax hinter sich. Die ersten 2,9 Millionen Euro dieser neuen „spartenübergreifenden Förderung“ sind jüngst verteilt worden, auch das PAF hat 200 000 Euro bekommen. Prima, Glückwunsch. Das Problem ist nur: Im Zuge ihrer Mehr- Geld-Kampagne hat die Freie Szene es sich offenbar so sehr angewöhnt, mit dem eigenen Wert als Wirtschaftsfaktor zu argumentieren, dass sie einen Schuss zu viel neoliberalen Geist verinnerlicht hat. Anders ist es kaum zu erklären, dass dieses Festival vor allem so aussieht, als sollte es neue Fördermittel aus dem Stadtmarketing erschließen helfen. Wo „100 Grad“ die Wundertüte war, ist PAF die Präsentationsmappe.

Die wirft vor allem Fragen auf. Wo bleibt der Raum für das Anarchische, Ausufernde, und ja: Demokratische? „Zugang“ und „Partizipation“ sind als Begriffe doch mindestens so gern gebraucht. Jetzt wird noch entschiedener als bislang ausgesiebt, wer sich als „Nachwuchs“ präsentieren darf. Nachgerade prototypisch ist dabei eine Installation wie „Wearing a bear“ der lettischen Künstlerin Arnita Jaunsubrsna im Studio des HAU2. Eine Performerin liegt im Kunstschnee, eine andere friemelt Klebeband auf den Boden, eine dritte kocht irgendwas ekelhaft Riechendes. Das Ganze, laut Programm, „eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Gewalt“. Kann man überall auf der Welt zeigen, tut mit aufgeblasener Bedeutungshuberei keinem weh.

Noch mal: Die Freie Szene hat eine wichtige Schlacht geschlagen. Jetzt aber wird es Zeit, zur Kursbestimmung gründlich in Klausur zu gehen. Derweil können sich alle Beteiligten des PAF zum Künstlerchor sammeln und das schöne neue Volkslied anstimmen: „Dort wo Kuratoren saufen, dort ja dort bin ich zuhaus’ “.

Performing Arts Festival: 27. bis 29. Mai, www.performingarts-festival.de

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