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Kunststücke: Doppelleben

Annabelle Seubert trainiert ihr Namensgedächtnis.

Die Katze ist hungrig. Sie leert bereits ihre vierte Futterschale. Und Benjamin Katz, der ist erst recht hungrig. Vom Fisch hat er bloß Gräten übrig gelassen und achtlos an den Tellerrand geschoben. Sonst knipst der belgische Fotograf mit Vorliebe Künstlerfreunde. In analoger Manier. Doch die ganzen Vernissagen wurden ihm irgendwann langweilig, da fotografierte er eben, was er aß. Wenn die Keule noch unangetastet auf weißem Porzellan liegt (800 Euro). Oder die Hälfte des Steaks von frischen Pommes frites verdeckt ist. Gut, auch die Bourouina Gallery (Charlottenstraße 1-2, bis 19. Juni) kommt nicht ohne Katz’ Künstler aus. Ein paar Atelieraufnahmen zeigen, was bleibt, wenn der Kreative weg ist. Die Leiter vor dem Gemälde, die Schürze mit den Farbklecksen. Trotzdem: „Fleischeslust“ wäre ein ebenso treffender Ausstellungstitel wie Les Deux Magots. Der zweite im Bunde, Michel Würthle, besser als Wirt der legendären „Paris Bar“ bekannt, zeichnet nämlich gern Nackte. Die Magd mit Stützstrümpfen und voluminöser Oberweite prangt da gleich neben Magdtochter Uga, die sich trotz eines ominösen Fußes im Gesicht nicht vom Oralverkehr abhalten lässt. Ob dies Ergebnisse bizarrer Gespräche oder durchzechter Nächten sind – absurd wirken sie alle, lustig meistens nicht. Erfrischend dagegen die überzeichneten Figuren aus Würthles Alltag: Der schlecht gelaunte Kellner schiebt ein leeres Tablett vor sich her, der nervige Gast fällt vor lauter Gesten und Gelächter fast vom Stuhl (1850 Euro).

Obwohl Joachim Elzmann in seinem zweiten Leben kein Gastronom ist, kann er ziemlich gut mit Flaschen umgehen. Die vielen Orangina-Fläschchen im Kunstraum t27 (Thomasstraße 27, bis 30. Mai) jedenfalls, die er aneinandergeklebt und zu einem länglichen Rohr angeordnet hat, wirken bei aller Zerbrechlichkeit unzerstörbar. Elzmann heißt eigentlich Michael Haas. Haas ist ein erfolgreicher Berliner Galerist und jemand, der beide Professionen strikt voneinander trennt. Elzmann wiederum arbeitet mit Glas, als sei es formbarer Ton. Schmalen, rosafarbenen Stäben setzt er hauchdünne, milchige Platten und ein glitzerndes Kristalldreieck auf (8000 Euro). Schalen, Dosen und Kugeln verwandelt er in grazile Gebilde, die sich elegant winden oder gefährlich in den Raum strecken. Bei Thomas Klingenstein ist das anders. Er hat ein großflächiges, schwarzes Bild gemalt, in dessen Mitte ein paar Linien undefinierbare Formen bilden. Erst beim Zurücktreten erkennt man darin den Frauenkopf „Anne“ (19 000 Euro). Klingenstein, der sich früh in der oppositionellen Kulturszene Ostberlins engagierte, wurde mit 19 Jahren in die Bundesrepublik abgeschoben. Er hatte den Gedichtband „Der Tag will immer Morgen bleiben“ veröffentlicht – und sich als Thomas Erwin eine neue Identität zugelegt.

Annabelle Seubert

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