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Kultur: Kunstvolle Beiläufigkeit

Das Model Kate Moss, so oft fotografiert, so oft in Szene gesetzt, sitzt auf einem grasgrünen Stuhl.Die Arme angewinkelt, der Blick leicht genervt, auf dem Gesicht der zarte Schatten eines Oleanders.

Das Model Kate Moss, so oft fotografiert, so oft in Szene gesetzt, sitzt auf einem grasgrünen Stuhl.Die Arme angewinkelt, der Blick leicht genervt, auf dem Gesicht der zarte Schatten eines Oleanders.Sie, sonst entrückter Superstar und überschminktes Fabelwesen, wirkt plötzlich sehr normal.Schaut beiläufig.So, als ob der Fotograf nur kurz vorbeigeschaut und nicht gestört hat.Nur eins paßt nicht ins Bild: die in glänzendes Plastik geschweißten Artischocken.Was haben die auf dem Holztisch zu suchen?

Die Bilder des Fotografen Wolfgang Tillmans hinterlassen Fragen.Auf den ersten Blick scheinen sie banal, alltäglich, fast harmlos, beim zweiten Hinsehen sind sie plötzlich hintergründig und rätselhaft.Und was manche als dilettantische Unschärfe auslegen könnten, ist in Wirklichkeit sehr wohl gewollt.

Die Unschärfe ist Merkmal einer Bildästhetik, die junge Fotografen wie der 30jährige Tillmans in den Neunziger Jahren gefunden haben und die ihnen das Etikett "New Realism" eingebracht hat.Die unscharfe Unvollkommenheit dieser jungen Bildsprache ist eine Absage an den Glanz und Glamour der Achtziger Jahre, Auflehnung gegen deren widerspruchsfreie Glattheit auf Hochglanzpapier.Die neuen Realisten, wie der Deutsche Juergen Teller oder die Amerikanerin Nan Goldin waren es leid, bloß makellose Kunstwesen zu zeigen.Sie fotografieren lieber Menschen, bei denen statt dicker Schminke die Äderchen unter der Haut zu sehen sind.Menschen, die auch mal einen Pickel auf der Nase haben und Haare an den Beinen.Und anstatt auf den entscheidenden Augenblick zu warten, protokollieren sie lieber den Alltag.Die Wirklichkeit ist eben spannender als die Inszenierung großer Illusionen.

Das Bild von Lutz und Alex etwa, "Climbing Tree": Zwei nackte Menschen, die wie Adam und Eva fröhlich in einem Baum herumklettern.Der Blick des Mädchens ist ungewöhnlich unbekümmert, losgelöst, so als wäre die Kamera überhaupt nicht da.Alex vermittelt auf eine sehr ursprüngliche Art Freiheit, und man weiß nicht genau, warum das so ist.Was wie ein gelungener Schnappschuß aussieht, ist in Wirklichkeit inszeniert: "Lutz und Alex waren ja nicht zufällig auf dem Baum, und ich hatte nicht gerade zufällig eine Kamera dabei.Solche Bilder wachsen vorher in meinem Kopf" sagt Wolfgang Tillmans.

Seine bewußte Beiläufigkeit hat sich längst in die renommierten Modezeitschriften, gegen deren Ästhetik er sich ja ursprünglich gewandt hat, eingeschlichen.Juergen Teller, der immer wieder in Zusammenhang mit Wolfgang Tillmans genannt wird, ist einer der meistgebuchten Modefotografen.Und spätestens seit der Calvin Klein Kampagne, in der junge ungewöhnliche Menschen trotzig in die Kamera von Steven Meisel blickten, hat auch die Werbung scheinbare Authentizität als gutes Verkaufsargument entdeckt.

Was als Bekenntnis zum Sein statt zum Schein gefeiert wird, ist für Tillmans selbst allerdings nie etwas Neues gewesen.Er, selbst eine auffallend unauffällige Erscheinung, mußte keine besondere Authentizität vorgeben, seine Bilder waren von Beginn an echt.1987, mit 19 Jahren, kam er aus dem kleinen Remscheid in das große Hamburg, und weil er von den langen Nächten in den Clubs so fasziniert war, packte Tillmans irgendwann seine Kamera und hielt diese Nächte fest.So wie sie waren.Magazine wie "Tempo" und "ID" druckten seine Fotos und riefen ihn gleich begeistert zum wahrhaften Chronisten seiner Generation aus.Dabei hatte Tillmans einfach nur seine Freunde fotografiert, junge Menschen in unordentlichen Zimmern, deren Gesichter beim Tanzen auch mal verzerrt oder verschwitzt waren."Ich bin Fotograf geworden, bevor ich es selbst gemerkt habe" hat Tillmans einmal über jene Zeit gesagt, und deswegen schrieb er sich 1990 am College of Art & Design im britischen Badeort Bournemouth ein, um sein Handwerk noch mal ordentlich zu lernen.

Die Fotografie von Tillmans, der nach Zwischenstationen in New York und Köln heute in London lebt, hat sich seitdem leise verändert.Noch immer fotografiert er seine Freunde, besonders oft Lutz und Alex.Sie, eine herbe Schönheit mit kurzen Haaren, und er, dessen Gesicht inzwischen von einem Bart bedeckt ist, scheinen Tillmans eine Beständigkeit in seinem Werk zu geben.Noch immer macht er, der aus seiner Homosexualität nie ein Geheimnis gemacht hat, viele Bilder mit homoerotischen Bezügen.Doch in seinen neueren Fotografien, die auch in seinem kürzlich erschienenen Buch "Burg" (Taschen-Verlag, Köln 1998) zu sehen sind, zeigt sich eine neue Vorliebe für Gegenstände und ihre Strukturen und Farben."Stilleben Marktstrasse" (1997) zum Beispiel, bei dem er auf einer zartlilanen Plastikfolie vier halbe Grapefruits mit rosa Fruchtfleisch, zwei Rosen und ei-ne Plastikschachtel mit dunkelroten Kirschen zusammengestellt hat.Oder "Sportflecken" (1996): Ein weißes T-Shirt, so eines, das man im Zehnerpack kaufen kann, liegt zerknittert da, als habe es einer achtlos hingeworfen.Bei näherer Betrachtung fallen seltsame gelbliche Flecken auf.Und der leichte Faltenwurf, der im ersten Moment so absichtslos scheint, wirkt plötzlich wohl arrangiert.

Es sieht so aus, als ob Tillmans sich bewußt von Menschen abwendet.Zu viele haben seine Porträts imitiert.So oft, daß er manchmal mit den ihm gestellten Erwartungen spielen mußte, um überhaupt noch eine eigene Identität zu wahren.Wie 1996, als das Artischocken-Foto mit Kate Moss für die amerikanische Vogue entstand.Da hat er unwirkliche Früchte ins Bild gelegt und so bewußt stilisiert.Es könnte allerdings gut sein, daß seine Reaktion wieder Nachahmer findet: Die inszenierte Ehrlichkeit hat so überhand genommen, daß viele Fotografen schon wieder nach neuen Ansätzen suchen.

Vor ungefähr zwei Jahren hat Wolfgang Tillmans ein Foto gemacht, von dem er sagt, er habe es schon "jahrelang" machen wollen: Ein junger Punker steht da mit nacktem Oberkörper, breitbeinig, sein Schädel ist fast kahlrasiert, seine Brustwarze ist durchstochen, in der rechten Hand hält er eine Zigarette mit langer Glut.Seine Jeans hat er heruntergelassen und ganz ruhig, fast konzentriert pinkelt er auf einen Stuhl.Ein grasgrüner Freischwinger.Der kommt einem irgendwie bekannt vor.

Bis 27.2.zeigt die Galerie neugerriemschneider, Linienstraße 155, eine Wolfgang-Tillmans-Ausstellung.Öffnungszeiten Di bis Sa 11 bis 18 Uhr

MAREEN LINNARTZ

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