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Kultur: Lachkrampf

Wo der Spaß aufhört: Meg Stuart attackiert in der Volksbühne mit „It’s not funny“ die Witzkultur

Von Sandra Luzina

„Gaza, Kinshasa, Hiroshima“, zählt der schmierige Illusionist im Rüschenhemd auf und singt beinahe: „Guantanamera“.

Witze über Guantanamo sind das Letzte. Und als dieser miese Gag platziert wird, befindet sich der Abend längst in einem trostlosen Stadium. „It’s not funny“, nennt Meg Stuart ihre neue Produktion, die bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt wurde und nun ihre Berlin-Premiere an der Volksbühne erlebte. Und dass die amerikanische Choreografin es verdammt ernst meint, daran lässt sie keinen Zweifel. Ihre Untersuchung über das gewollt und ungewollt Komische ist eine Gratwanderung, provoziert es beim Zuschauer doch unwillkürlich den gequälten Reflex: „Das ist aber nicht lustig!“ Durch konsequentes Kaputtlachen. In „It’s not funny“ werden nicht nur Pointen geschmissen, sondern auch sämtliche Comedy-Formeln seziert und unterlaufen.

Sechs Tänzer schickt Stuart an die Unterhaltungsfront. Sie geben sich alle Mühe, ihren großen Auftritt zu vermasseln. Anna MacRae brettert auf Rollschuhen die hölzerne Showtreppe herunter und stürzt und lächelt tapfer – da halten alle den Atem an. Diese Fallhöhe erreicht das Stück danach nicht mehr. Meg Stuart entpuppt sich als Spielverderberin.

Lustvoll und geradezu frivol albern ist es, wenn Meg Stuart sich amerikanische Genres wie die Musical Comedy und die Stand-Up Comedy vorknöpft. Thomas Conway und Vania Rovisco als Ginger und Fred tanzen mit gebremster Leidenschaft, so als ob sie gegen einen Türstopper prallen – und liefern sich dann einen lustigen Nahkampf. Die derangierte Chorus Line der Volksbühne in ihren schrill rosa Trikots kriegt nur ein trauriges Beine-Schwingen hin. Noch jämmerlicher ist die Entennummer: Wenn alle in Bauchlage ihr Hinterteil in die Höhe strecken, ist das ein hübscher Seitenhieb zum Thema inszenierte Erotik.

So läuft die Lustigkeit selbst in ihrer Persiflage aus dem Ruder. Stuart will demaskieren, den fabrizierten Frohsinn, die verlogene Heiterkeit, das erzwungene Gelächter, doch ihr fällt nur eine fade Nummernrevue der gesammelten Schieflagen ein. Der Szenenreigen kippt ins Geschmacklose, Peinliche und Unanständige. Vania Rovisco verfällt in einen obszönen Redezwang und kichert wie irre über sprechende Vaginas oder „a white man with a black cock“. Aus Zoten werden Handgreiflichkeiten. Boris Charmatz mit seinen verlängerten Polsterarmen ist eine Comicfigur von monströser Lüsternheit. Entfesselungskünstlerin Meg Stuart holt aus zu einer Humorkritik, die einem das Lachen gründlich austreibt, dabei aber nur selten das Abgründige berührt.

Am Ende wird sogar ein Lachverbot erteilt: Kristof von Boven listet auf, worüber man sich tunlichst nicht lustig machen sollte. Stuart mokiert sich über die Phalanx der politisch-korrekten Spaßverderber und verfällt selbst dem Moralischen. Die Schlussszene zeigt die verzerrten Fratzen der Darsteller, die dazu verdammt sind, sich immer blödere Witze zu erzählen. Wer zuletzt lacht, der hat, der ist verloren.

Wieder heute sowie am 8. und 16. Oktober, 19 Uhr 30.

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