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Kultur: Lacht der Berliner?

Er ist Kunsthändler – und der Doyen aller Kunstsammler. Heute feiert Heinz Berggruen seinen 90. Geburtstag. 1914 in Berlin geboren, begann er seine Karriere mit Feuilletons für die „Frankfurter Zeitung“. In diesem 1936 kurz vor der Emigration in die USA entstandenen Text fragt der junge Heinz Berggruen:

Das Lachen in der großen Stadt erschreckt. Es erschreckt wie alles Unerwartete. Der Mann in der dicht voll Menschen gepressten UBahn, der einen heiteren Roman liest und plötzlich laut auflacht, erregt in seiner Umgebung Missbehagen. Man sieht verärgert zu ihm auf, dem einen oder anderen kommt für einen Augenblick der Gedanke, der Lacher sei von einem Anfall, von irgendeinem Symptom hysterischer Krankheit befallen. Die drei Männer im Zigarrenladen – Verkäufer und zwei Kunden –, die, über den Ladentisch gelehnt, in dröhnendes Lachen ausbrechen, weil einer von ihnen eine Bemerkung tat, die zu diesem Gefühlsausbruch Anlass gab, unterdrücken die Stimmungsentladung jäh, als ein vierter, fremder eintritt und gleichgültig ein paar Zigaretten verlangt.

Die Fragestellung „Lacht der Berliner?“ mag manchem riskant erscheinen; er sieht sehr deutlich die Gefahr, die darin besteht, um jeden Preis zu verallgemeinern, von dem Verhalten Einzelner Rückschlüsse auf das der Gesamtheit ziehen zu wollen und somit ein in seiner Simplifizierung schiefes Bild zu geben. Es soll auch gar nicht versucht werden, zu entscheiden, ob der Berliner in seinem Temperament eher zum Optimismus oder zum Pessimismus neige (wobei dahingestellt sein mag, ob es richtig ist, Lachen unbedingt als Ausdruck von Optimismus anzusehen) – nur eines sei bemerkt: dort, wo der Berliner Berliner wird, wo er also bis zu einem gewissen Grad der privaten Sphäre seines Lebens entschreitet und sich in seiner Funktion als Großstädter der Gesetzmäßigkeit der Stadt – ob er will oder nicht – unterordnet, auf der Straße somit, im Autobus, auf der Post, im Finanzamt, kurz: an allen der Allgemeinheit zugänglichen, im eigentlichen „objektiven“ Stätten, da lacht er nicht, so wenig wie die Stadt lacht oder sonst einer Anwallung des Gefühls unterliegt – tut er es dennoch, wie jener Mann in der U-Bahn, dann empfindet es die Umgebung als durchaus illegitim, dem Nachdenklichen erscheint es wie ein sehr spontanes, zugleich halb ängstliches und überdies erfolgloses Sich-Aufbäumen gegen die Richtformen, welche die Stadt ihren Menschen auferlegt.

Es mag einer sich in einer Stunde heftiger Zirkulation, etwa zu der Zeit kurz vor Ladenschluss, an einen Punkt stellen, an dem dieser Verkehr besonders lebhafte Formen annimmt, beispielsweise an die Ecke Leipziger und Friedrich-, oder Tauentzien- und Nürnberger Straße, und sehr scharf die Leute, die an ihm vorbeiströmen, beobachten. Er wird dabei allerlei Feststellungen machen, die manche Vermutung über die Art und Weise gestatten, in der diese Menschen reagieren, wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegen; eines aber wird er in jedem Fall bemerken: kaum je lacht einer, und wenn doch, dann ist es fast immer ein Nicht-Berliner, ein zu Besuch Weilender, der mit der ganzen Unbeschwertheit und Neugierde, fast möchte man sagen: Provokationslust des Fremden in dieser Stadt herumstreicht.

Der Berliner in seiner Eigenschaft als Berliner lacht nicht. Er mag zu Hause lachen, im Freundeskreis, im Büro, im Theater, aber nicht dort, wo er das steinerne Parkett der Straße betritt. Wenn wir uns noch einmal in die Atmosphäre während einer U-Bahnfahrt hineinversetzen: wer wollte nicht zugeben, dass nichts für die Haltung der Menschen in der Untergrundbahn so bezeichnend ist wie die Tatsache, dass niemand während der Fahrt eine Miene verzieht, Empfindung, Temperament verrät, dass jeder in sachlich knappem Gespräch begriffen ist oder aber mit einem unzweifelhaft steifen Passbildgesicht vor sich hinstarrt? Und was ist dies anderes als der Ausdruck dafür, dass bewusst oder unbewusst ein Zwang zur Einordnung in das aller privaten Äußerung abholde Getriebe der großen Stadt empfunden wird!

Das Vergnügen, das es immer von neuem bereitet, in der Wochenschau im Kino Zuschauer einer Sportveranstaltung auf der Leinwand zu sehen, die unter der Einwirkung des Spiels, dem sie folgen, ihren Temperamentsausbrüchen freien Lauf lassen, kann lediglich daraus erklärt werden, dass einem deutlich bewusst wird, hier verliere einmal der Einzelne für eine Weile die Kontrolle über das Gefühl, die er sonst in der Öffentlichkeit so streng zu wahren weiß. Bald aber, wenn nämlich jene sonntags auf dem Sportplatz gefilmten Zuschauer im Montagmorgenbetrieb ihrer alltäglichen Beschäftigung zusteuern, legt sich von neuem die eisige Kette der Neutralität um das Privatgefühl, und niemand in den weinroten Polstern des U-Bahnwagens lacht mehr laut vor sich hin.

Dieses zuerst am 7. September 1936 in der „Frankfurter Zeitung“ veröffentlichte Feuilleton erscheint heute mit weiteren journalistischen Beiträgen Berggruens aus den Jahren 1935 bis 1937 in dem Band „Kleine Abschiede“ im Berliner Transit Verlag

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