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Kultur: Lagerkoller

Die Frage der Zugehörigkeit ist von entsetzlicher Brisanz. Kürzlich kam ein Regieassistent zu mir, der seine erste Inszenierung hier in Bochum machen will.

Die Frage der Zugehörigkeit ist von entsetzlicher Brisanz. Kürzlich kam ein Regieassistent zu mir, der seine erste Inszenierung hier in Bochum machen will. Bei der Auswahl des Stückes und bei der Bescheidung der Ästhetik geht es ihm offensichtlich nur noch darum, ein Markenzeichen zu prägen. Schon bevor angehende Regisseure den Beruf überhaupt richtig erlernen, geht es ihnen um die Lesbarkeit einer Handschrift, die sie auf dem Theater-Kunst-Markt unverwechselbar machen soll. Oder sie wollen sich dem einen oder anderen Lager zuschlagen. Und sie wissen auch warum. Ist ihr Image erst einmal geprägt und gibt es im Meinungsmarkt bereits ein Brandzeichen für sie, dann gibt es kein Entrinnen. Sie können es sich nicht leisten, etwas auszuprobieren, was sie vielleicht gar nicht kennen oder sich auf ein Experiment einlassen, dass ihnen auf den ersten Proben vielleicht passiert und die ganze Arbeit in eine unvorhergesehene Richtung verändert. Jenseits aller künstlerischer Kompetenz und Vision geht es um die möglichst schnelle Erarbeitung eines Markenprofils, über die die zukünftige Arbeit medial kategorisierbar und vermittelbar und von Theater-Trendscouts wahrgenommen wird.

Was treibt die Regienovizen, so zu denken? In einem Gespräch mit einem angesehen Dramaturgen eines namhaften Theaters erfuhr ich, dass sie einen jungen Autor, den wir in Bochum erstaufgeführt haben, nie nachspielen würden. Er sagte das mit einem gewissen Bedauern, denn er schätze den Autor und den Text. Ich verstehe das nicht. Warum muss dieser Mensch sein Theater gegen unseres in Bochum abgrenzen? Wir sind ganz weit weg? Das Unerträglichste in meinem Beruf ist die Tatsache, dass ich immer befeindet bin mit Menschen, die ich gar nicht kenne. Zwangspolarisiert gewissermaßen gegen Künstler, deren Arbeit ich schätze und die mich inspirieren. Wer hat uns das eingeredet? George Lucas zeigt seinen Film "Episode 2" noch im Rohschnitt Martin Scorsese und Steven Spielberg. Die Medien mögen diese Künster aneinander messen, aber jenseits dessen gibt es auch eine Solidarität der Kreativen, die über den Markt erhaben ist.

Ich schaue mir eine Vorstellung beim Berliner Theatertreffen an, ich mag sie, komme noch ganz im Bann der Aufführung aus dem Theater und sehe auf einer Litfasssäule an der Straßenecke ein Plakat des Berliner Ensembles: "Das einzig wahre Theatertreffen". Meine Aufführung von "Warten auf Godot" ist auch auf dem Plakat. Scheiße, denke ich, hat mir keiner gesagt, dass ich auf einem alternativen Theatertreffen teilnehme, mich also schon wieder in einem Gegenlager befinde, zudem zu einem Theatertreffen, bei dem ich gerade etwas ganz Schönes gesehen habe. Überall Generationen, Lager, Gesinnungsapostel. Die Qualität einer Theateraufführung wird oft nicht mehr an sich selbst, sondern an seiner Zugehörigkeit gemessen. Warum braucht bei uns alles ein Markenzeichen?

Künstler entwickeln Handschriften, Theaterhäuser ein Profil. Doch für mich muss es einen Unterschied zwischen dieser Art von Erkennbarkeit und dem Labeldenken der Industrie geben. Reicht es nicht, dass wir ohnehin bis ins kleinste Lebensdetail von industriell geprägten Lebensformen umstellt sind? Kunst sollte sich um einen Ausweg aus diesem Spiel bemühen und ist, so nüchtern muss man es sagen, natürlich zugleich ein Teil von ihm. Das Image, das man sich erwirbt, ist immer Fluch und Chance zugleich. Die Chance unseres Theaters in Bochum ist seine wieder wahrnehmbare Präsenz, der Fluch sind die Schlagzeilen, die uns Populismus vorwerfen, dem für einige Argwöhnische die inhaltliche Vielfalt unserer Arbeit scheinbar geopfert wird.

Ich fürchte mich vor jeder Schublade und bemühe mich, ihnen imm er wieder zu entkommen. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass ich einem der engen Klischee sonst eines Tages erliege, dass ich mir eines der Markenzeichen glaube, dass man sich selbst nur zur allgemeinen Abgrenzung von anderen Regisseuren gemacht hat. Dass ich darin das Gute entdecke, es kultiviere, um auch endlich eine vermarktbare Nische zu haben. Das ist die größte Gefahr, weil sich Vorhersehbarkeit und Kreativität immer widersprechen.

\"Ersetzen heute im Theater künstliche Polaris

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