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Kultur: Last Exist Vegas

Verlierer zur Besichtigung freigegeben: „Die Dummheit“ an der Berliner Schaubühne

Ein Mann und eine Frau in einem billigen Motelzimmer, irgendwo in Las Vegas. So könnte ein Film noir beginnen: Sie sitzt mit schwerer Sonnenbrille auf dem Bett, er lehnt nervös an der Wand. Schatten und Lichtstreifen haben sich über die Absteige gelegt, aus dem Off kommt eine Stimme, die von einem millionenschweren Auftraggeber erzählt, von einem gestohlenen Gemälde, von illegalen Geschäften. Aber dies ist kein Krimi, sondern die Berliner Schaubühne, und die Geschichte der beiden Gestalten aus der Halbwelt zwischen Kunsthandel und Mafia ist nur einer von vielen Erzählsträngen an diesem Abend. Einem Abend mit schwulen Highway-Cops, halbprofessionellen Casino-Spielern mit Gewichtsproblemen und jeder Menge WhiteTrash-Personal.

Ein vielleicht wahnsinniger, vielleicht aber auch genialer Mathematiker mit ergrauter Hippie-Mähne behauptet, die Weltformel zu kennen und die Zukunft berechnen zu können (ein dezenter Kommentar zum Einstein-Jahr?). Mafiosi mit Sonnenbrillen und viel Olivenöl in der Stimme wollen Schulden eintreiben, fuchteln mit dem Revolver und verschwinden wieder. Platzanweiserinnen aus einem Multiplex-Kino hätten gerne Sex mit betrunkenen Polizisten und verpatzen es mit ihrem Endlos-Gequassel. Ein Texas-Öl-Millionär und ein bizarrer Japaner interessieren sich für ein verblasstes Gemälde, auf dem nur noch die weiße Leinwand zu sehen ist, eine angetrunkene Wissenschaftsjournalistin klopft an die falsche Hotelzimmertür, und ein debiles Kind verdämmert im Rollstuhl sein Leben. Es ist viel los an diesem Abend. Aber erzählt wird eigentlich nichts.

Das liegt nicht nur daran, dass all die Lebensgeschichten nur kurz angerissen, wie Schnappschüsse ausgestellt, entsorgt, liegen gelassen und schnell wieder vergessen werden. Der argentinische Dramatiker Rafael Spregelburd, dessen Stück „Die Dummheit“ Tom Kühnel an der Schaubühne routiniert zur deutschen Erstaufführung bringt, interessiert sich nicht für seine Figuren. Sie sind lediglich Belegstücke für eine These.

Die These ist im Untertitel angedeutet: „Die Heptalogie des Hieronymus Bosch“. Es handelt sich um einen Versuch, die Sieben Todsünden für die Gegenwart zu illustrieren. Aber das Grauen der gottfernen Zeit versackt im Spiel mit Versatzstücken aus dem Klischee-Vorrat. Die fünf Schauspieler Jule Böwe (wie immer: eine Freude), Felix Römer (als zuverlässiges Ekelpaket), Stephanie Eidt, Falk Rockstroh und Lars Eidinger stellen etwa zwei Dutzend Figuren aus. Und keine her. Schrumpfformen von Menschen, durch trist-grelle Perücken und Kostüme hinreichend charakterisierte Comicgestalten.

Dazu passt, dass es in ihren Manövern vor allem um Fälschungen und Oberflächenreize geht: Nicht nur das obskure Gemälde ist kein Original. Auch die Gefühle und leerlaufenden Dialoge sind bestenfalls Muster ohne Wert, vollautomatisch produziertes Surrogat. Man könnte das als Kritik am entleerten Leben missverstehen, wäre das Stück nicht selbst so grauenvoll leer. Die Depravierten aus der Unterschicht, körperlich und seelisch verwahrlost, verfettet, komisch in ihrer Hässlichkeit, werden der Mittelschicht im Zuschauerraum zum Amüsement serviert. Der Blick auf den White Trash ist arrogant und mitleidlos. Las Vegas, die Stadt mit der höchsten Selbstmordrate in den USA, wird zur Kulisse, in der individuelle Katastrophen zu lustigen Grotesken schrumpfen.

Das Elend wird irreal. Und die Spaßhölle in ihrer Irrealität zum Endpunkt westlicher Zivilisation, eine Aufforderung zum Selbstmord, wie ihn Nicholas Cage als todessüchtiger Alkoholiker in „Leaving Las Vegas“ vorgeführt hat. Das könnte weh tun. Aber dafür müsste das Stück seine Figuren ab und zu ernst nehmen, statt nur lustig lallende Verlierer vorzuführen.

wieder am 8. und 9. Mai

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