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Urschreitherapie. Werdet los, was euch auf der Seele liegt. Laurie Anderson macht’s bei ihrem Berliner Auftritt vor.

© Sylvia Steinhäuser

Laurie Anderson bei A l'arne!: Schall und Wahn

Vibrationsreich: Laurie Anderson und Bill Laswell beim A l’arme!-Festival im Radialsystem.

Von Gregor Dotzauer

Worum es geht, fasst das Programmheft von A l’arme! folgendermaßen zusammen: „Störung aus Prinzip. Lärm als Bereicherung. Klang als Material für Erfahrung und Erkenntnis.“ Nachdem im sechsten Jahr von Louis Rastigs Festival, das sich inzwischen jede musikalische Gattungsbezeichnung spart, ziemlich klar ist, welches ohrenbetäubende Grundrauschen hier vier Tage lang auf ein frenetisches Publikum trifft, sollte man diesen Anspruch vielleicht genauer untersuchen. Denn er vereint drei sehr verschiedene Dinge.

Klang als Erfahrung versteht sich von sich selbst. Mit der Erkenntnis als etwas Distinktem im Chaos der Wahrnehmung verhält es sich schon komplizierter. Die Störung lässt sich im günstigsten Fall als eine Art philosophische Skepsis verstehen, die sich mit vermeintlichen Gewissheiten nicht zufriedengeben will, im ungünstigen Fall aber Zerstörung um der bloßen Zerstörung willen betreibt. Und schließlich ist Lärm per se keine Qualität, solange man ihn nicht als Gegenpol zur Stille denkt, aus der alle Musik wächst, oder eben als das in Frage stellt, was er zu sein scheint: undifferenziertes Getöse.

Bei der norwegischen Komponistin, Sängerin und Elektronikkünstlerin Maja Ratkje, die das Festival im saunaartigen Radialsystem mit einem Solokonzert eröffnete, kommt zur puren Lautstärke noch etwas Anderes in Spiel. Ein Miteinander und Gegeneinander von Mensch und Maschine, ein Kräftemessen von natürlicher Stimme und digitaler Verzerrung. Ein Schamanentum, das im Unbeseelten das Beseelte zu entdecken hofft, den menschlichen Atem aber immer wieder an die Gleichgültigkeit der Apparatur ausliefert und sich von ihr verschlingen lässt.

Industrialsound im postindustriellen Zeitalter

Diese Musik hat nicht den drängenden Übermut des Free Jazz, sie sucht nicht den rohen Aufschrei des Punk. Sie begibt sich ins düstere Jenseits einer vernunftgesteuerten Welt, in der Menschen vor Reglern, Kabeln und Platinen stehen, deren Eigenleben sie immer wieder überrascht. Ein Fertigloop auf Echtzeitloop schichtendes Dauerwummern und Pochen erschafft einen bedrückenden Industrialsound in postindustriellen Zeiten.

Zwischendurch hellt das Plinkern einer Spieldose die Klangwand auf. Eine Kalimba mischt sich ein, das Knistern einer Zellophanfolie erzeugt vulkanisches Grollen, und alles wird durchwirkt von Ratkjes vokalen Lauten und einem mitunter archaisch anmutenden Chanting.

Die Suggestion der Ereignisfülle macht diese Klima und Farbe nie ändernde Musik aber zutiefst langweilig. Gerade in ihrem Aktionismus lebt die 1973 in Trondheim geborene Maja Ratkje die müde Geste einer schon hundertmal zu Grabe getragenen Avantgarde aus, deren buchstäblich schriller Gewalt sich das überwiegend deutlich ältere Publikum mit einem leisen Hang zum Masochismus dennoch gerne überließ.

Dann eine Weltpremiere mit der Sängerin und Performancekünstlerin Laurie Anderson, die hier fast ausschließlich als Geigerin auftritt. „Method of Defiance“ heißt die sechsköpfige, in dieser Konstellation nagelneue Band, die Bassist Bill Laswell zusammengestellt hat. Dr. Israel, der Rapper zwischen Dub und Jungle, reimt auf „Method of Defiance“ immer wieder „Refuse Compliance". Und da ist das Prinzip Störung gleich wieder – als politisches Plädoyer für immerwährenden Trotz und den Verzicht auf Zustimmung. Laurie Anderson formuliert es gleich noch einmal, wenn sie das Publikum in ihrem Singsang auffordert, wenigstens zehn Sekunden lang einen kollektiven Schrei auszustoßen, wie ihn Yoko Ono nach Trumps Wahlsieg über YouTube verbreitete. Die Berliner gehorchen ihr willig.

Anders als bei Maja Ratkje gibt es einen Ambitus zwischen Laut und Leise, der gelegentlich ins fast Kammermusikalische mündet. Doch schon im nächsten Moment fährt auch hier eine undurchdringliche Soundwall hoch. DJ Logic, der zwischen Hip Hop und Jazz angesiedelte Turntablist, ist beim Scratchen fast unhörbar, und der Kornettist Graham Haynes, Sohn der Drummers Roy Haynes und derzeit Mitglied in Vijay Iyers Sextett, ist das verlorene sechste Rad am Wagen.

Grüße von Electric Miles

Aus der Ferne grüßt das kalte Lodern des elektrischen Miles Davis vom Anfang der siebziger Jahre, den Laswell 1999 auf „Panthalassa“ remixt hat. Aber die ähnlich verstörende Energie, der sich die Grooves von „Method of Defiance“ bedienen, verliert sich in einem freudlosen Nebeneinander, das allein von Schlagzeuger Guy Licata und seinem von Drum'n'Bass geprägtem Beatdesign zusammengehalten wird. Licata ist ein Schüler von Jojo Mayer, dem Gott aller Hightech-Drummer, die dem Computer beweisen wollen, dass der Mensch die bessere Maschine ist. Mit aller Macht pumpt er Kraft, Struktur und Volumen ins tendenziell Gleichförmige. Jeder Bassdrumkick ein Leberhaken – und Bill Laswells Bass der Lucky Punch.

Dabei sitzt Laswell nach kurzen Phasen des Stehens immer wieder gelangweilt und entkräftet auf seinem Stuhl, zuppelt mit minimalem Einsatz von Greif- und Spielhand ein Maximum an Krach aus seinem Instrument, lässt einen seiner beliebten Flageoletttöne darüber schweben und kann das Ende seines Einsatzes offenbar kaum erwarten. Nach einer knappen Stunde konsultiert er das Handy in seiner Westentasche, schnallt vorsorglich schon mal den Bass ab und überlässt Laurie Anderson und ihrer Vocoder-Stimme für ein letztes Stück das Feld. Mit 63 Jahren ist er, früher Teil von so einflussreichen Bands wie Material oder Massacre, ein bloßer Schatten seiner Legende als Musiker und Produzent.

„In the end it’s all vibration“, lautet ein Zbigniew Karkowski abgelauschtes Motto von A l'arme!, das sogar auf die T-Shirts gefunden hat. Das Festival widmet dem 2013 im Alter von 55 Jahren verstorbenen polnisch-schwedischen Noisekünstler zum Abschluss am Samstag einen ganzen Abend – und zuvor Mark Fells aus 23 Lautsprechern bestehende Soundinstallation „The Truth at all Costs?“. Wo jedoch am Ende nur noch unterschiedslose Schwingung ist, hat es ein bewusstes improvisiertes Miteinander schwer, das allen Gehör verschafft.

Noch bis 4.8. im Radialsystem, täglich ab 20 Uhr, alarmefestival.de

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