zum Hauptinhalt

Kultur: Leben. Schlingern

Von Daniela Sannwald Er zerdehnt die Vokale seines schleppenden, spanisch akzentuierten Englisch und ist ständig in Unruhe, tritt von einem Bein aufs andere. Die Nervosität seiner Bewegungen akzentuiert, ja kommentiert den Rhythmus seiner Sprache.

Von Daniela Sannwald

Er zerdehnt die Vokale seines schleppenden, spanisch akzentuierten Englisch und ist ständig in Unruhe, tritt von einem Bein aufs andere. Die Nervosität seiner Bewegungen akzentuiert, ja kommentiert den Rhythmus seiner Sprache. Benjamin Bratt ist, mit Zauselbart und Sneakers, Miguel Piñero.

Man könnte ihn den Vater aller Slam-Poeten nennen. 1974 landete Piñero, frisch aus dem Knast entlassen, mit dem Theaterstück „Short Eyes“ einen Broadway-Hit. Damals waren schreibende Ex-Knackis en vogue; man denke etwa an Burkhard Driest, der hier zu Lande die literarische Welt aufzurütteln vermochte. Mit einigen Landsleuten gründete Piñero das „Nuyorican Poets Café“, das zur Bühne für Künstler lateirikanischer Herkunft wurde, und versuchte sich als Schauspieler in Film- und Fernsehrollen. Dennoch blieb er sein Leben (1946 -1988) lang ein entwurzelter Puertorikaner, den die Kulturschickeria bald fallen ließ.

„Piñero“ ist ein biografischer Film – und ein Gedicht. „The sound of the street“, das waren die Stimmen aus dem Ghetto, aus Spanish Harlem etwa: rau, direkt, obszön. Es ging um Drogen, Inzest, Alkohol, Schießereien und Glücksspiel. Der Film, vom kubanischen Regisseur Leon Ichaso in Farbe und Schwarzweiß gedreht, mit extrem mobiler Kamera, bewegt sich im hastigen Tempo von Piñeros selbstzerstörerisch kreativem Exzess; so vermitteln sich Intensität und Besessenheit des Künstlers hautnah. Und manchmal geraten die Zeiten durcheinander in den rauschhaften Bilderfolgen, wie sie möglicherweise im Kopf des Dichters abliefen.

Der Film erzählt auch davon, wie Piñero in seiner Heimat seiner Mutter wiederbegegnet, die schon früh vom Vater verlassen wurde. Und davon, dass der Junge ihn immer vermisste. Vielleicht tut er sich deswegen mit Sugar zusammen, die jahrelang von ihrem Vater missbraucht wurde: „Du hattest gar keinen Vater, ich hatte zu viel davon.“ Immer wieder strauchelt, torkelt und kreiselt die Kamera. Piñero selbst schwankte lebenslänglich zwischen genialisch-kreativen Phasen und Verachtung für die Gesellschaft, die ihn und seinesgleichen marginalisierten.

Im Internet-Diskussionsforum „A Gathering of the Tribes“ für „vom Mainstream vernachlässigte Künstler“ wird der Film heftig kritisiert. Immer noch, so schreibt ein Kritiker offenbar lateinamerikansicher Herkunft, gelten hispanische Literaten als eine Bande von Unzivilisierten. In diese Kerbe schlage auch Ichasos Film. „Aber man kann es nicht leugnen“, so der Rezensent weiter, „Mikey Piñero war wirklich ein wilder Hurensohn.“

CinemaxX Potsdamer Platz, Kino in der Kulturbrauerei, Kant, OmU im Babylon, CineStar Sony-Center, Hackesche Höfe

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false