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Leonard Cohen: Das Glück liegt in der Wiederholung

Melancholischer Entertainer, betender Poet: Leonard Cohen zaubert intime Stimmung in die Berliner O2-World.

Von Gregor Dotzauer

Wie traurig wäre es, seine Lieder zum ersten Mal zu hören. Das Glück liegt in der Wiederholung, und die Wiederholung beruht auf der Fähigkeit zur Erinnerung, und die Erinnerung wohnt in neuronalen Netzen, die danach schreien, mit den alten Signalen aufgefrischt zu werden. Allein wie er auf die Bühne der Berliner O2-World sprintet und wieder in die Kulissen tänzelt: Wie oft in seinem mittlerweile 74-jährigen Leben hat er seine müden Beine wohl schon so in die Hand genommen. Wie oft hat er sich schon vor einem solchen Riesenauditorium verneigt, vor dem er sich im vergangenen Oktober tatsächlich schon einmal verneigt hat und das auch nicht anders aussieht als die O2-Arena in London, wo er im vergangenen Juli eine Doppel-CD aufnahm, die nun rund um die Welt Erwartungen schürt, was es heißt, einen Abend mit Leonard Cohen und 20 000 Menschen zu verbringen – und sie dann auch noch zuverlässig erfüllt.

Cohen trägt denselben Hut, den er am Abend zuvor in Köln getragen hat, er trägt denselben Anzug oder zumindest das gleiche Modell. Er geht am Anfang seiner Songs meist in die Knie, um sich dann aus seiner Demutshocke zu erheben, die rechte Hand himmelsbeschwörerisch ausgestreckt und doch noch am Mikrofon, als würde er eine Mundharmonika halten. Seit Beginn seiner Welttournee im Mai 2008 spielt er mit derselben Band dieselben Songs im gleichen Arrangement in praktisch unveränderter Reihenfolge, wobei sich der dreieinhalbstündige Bogen immer von „Dance Me To The End Of Love“ bis zum A-Cappella-Chor „Whither Thou Goest“ spannt. Selbst seine inzwischen ausgesprochen dürren Ansagen haben nicht einen Hauch von Spontaneität. Thank you, my friends, you’re very kind.

In gewisser Weise ist Cohen nur ein brillanter Darsteller seiner selbst – und dies für das Publikum überdies gefiltert durch die Augen einer Kamera. Denn sein schönes, würdevolles Altmännergesicht mit den tiefen Furchen zwischen der Raubvogelnase und den Mundwinkeln lässt sich überhaupt nur dank der Monitore erkennen. Und doch ist das unendliche Vertrauen, das ihm schon vor dem ersten Ton gehört, nicht nur der Ehrfurcht geschuldet, man könnte diese Legende zum letzten Mal gesehen haben. Jenseits der perfekten Gesamtinszenierung, bei der gute oder schlechte Tage kaum mehr ins Gewicht fallen, verfügt er über ein melancholisches Charisma, das sich nur noch dadurch steigern ließe, dass man irgendwann einen Moment lang bangen müsste, dass er, der poetische Artist, vom Seil seiner raunenden Verse stürzen könnte.

Cohens größtes Risiko besteht darin, dass ihm die Stimme wegbleibt: ein in sonore Abgründe weggerutschtes und höchstens anderthalb Oktaven umfassendes Organ, das direkt in alle neuronalen Netze vorstößt – und auch das, was seine eigene Maske sein mag, durchdringt. Was manchmal kurz davor ist, in Las-Vegas-Entertainment umzuschlagen, behält so eine rührende Intimität, die die Halle vergessen lässt und in eine Innigkeit und Innerlichkeit zurückführt, wo Cohen mit seinen „Songs from a Room“ einmal begonnen hat.

Wie karg dahingeschrammelt und instrumentiert war das einmal, und zu welchen elektronischen Scheußlichkeiten verstieg er sich später. Was die Band unter ihrem musikalischen Leiter, dem Bassisten Roscoe Beck, nun aus verschiedensten Epochen in ein stilistisch einheitliches Country-Folk-Gepräge mit andalusisch-arabischen Tupfern des Gitarristen und Lautenisten Javier Mas überführt hat, mag man glatt nennen, aber Cohens Chorgirls wiegten sich noch nie so geschmackvoll im Takt wie jetzt die Webb Sisters und Sharon Robinson.

Rein musikalisch kommt man Cohen ohnehin nicht bei. Denn sind Lieder wie „Who By Fire“, für die er erklärtermaßen in Anspruch genommen hat, dass sie Gebete seien, in ihrer Versrhetorik nicht von vornherein auf Wiederholung angelegt? Man wüsste nur gerne, wie Cohen selbst das empfindet. Ob er sich als altes Zirkuspferd fühlt, wenn er zum hunderttausendsten Male „Suzanne“ anstimmt, oder ob in ihm noch das Bild der realen Marianne aufblitzt, wenn er „So long. Marianne“ spielt. Blessings in your solitude, wünscht er allen, die an diesem Abend nicht von Freunden oder Familie aufgefangen werden. Der Segen sei auch ganz und gar mit ihm.

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