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Kultur: Letzte Noten

Für Dirigenten ist es fast schon eine Selbstverständlichkeit, selbst Geiger tun es mittlerweile – nur die Pianistenzunft scheint sich der Auseinandersetzung mit der historischen Aufführungspraxis hartnäckig zu entziehen. Die Erkenntnisse, die die Hammerflügel-Spezialisten in den letzten Jahrzehnten über Tempi, Balance und musikalische Schlüssigkeit zutage förderten, gehen offenbar an der Ausbildung vorbei.

Für Dirigenten ist es fast schon eine Selbstverständlichkeit, selbst Geiger tun es mittlerweile – nur die Pianistenzunft scheint sich der Auseinandersetzung mit der historischen Aufführungspraxis hartnäckig zu entziehen. Die Erkenntnisse, die die Hammerflügel-Spezialisten in den letzten Jahrzehnten über Tempi, Balance und musikalische Schlüssigkeit zutage förderten, gehen offenbar an der Ausbildung vorbei. Stattdessen produziert der Betrieb unermüdlich technisch makellose Wettbewerbssieger, die in der Regel schnell wieder vergessen werden. Also, Pianisten: ran an die Hammerflügel! Nicht, um die Eigenheiten dieses Instruments sklavisch auf den modernen Steinway zu übertragen, sondern allein, um einmal alle Konservatoriumskonventionen in Frage zu stellen und sich zu fragen, ob beispielsweise Mozarts letztes Klavierkonzert unbedingt so ätherisch zelebriert muss, nur weil der Komponist kurz darauf starb?

Von Andreas Staier jedenfalls ist so eine Mozart-Verklärung nicht zu erwarten. Deutschlands wohl profiliertester Hammerflügel-Spieler steht für einen spiel- und dialogfreudigen, hellwachen Klassikerstil. Unter dem Motto „Mozart 1791“ stellen Staier und das Freiburger Barockorchester am Montag im Kammermusiksaal das B-Dur-Klavierkonzert dem Klarinettenkonzert gegenüber. Der Abend könnte ein Plädoyer dafür werden, dass Mozart in seinem Todesjahr in Aufbruchsstimmung war.

Doch die Tradition vereinnahmt nun einmal gnadenlos den frühen Tod jedes Komponisten und versucht durch biografische Fakten auf Bedeutungsschwere zu schließen. Was für Mozart gilt, gilt umso mehr für Schubert. Eigentlich müsste man jeden Pianisten, der Schuberts späte Klaviermusik zum bleischweren Requiem zerdehnt, zur Besinnung an den Hammerflügel setzen. Im Zentrum des Programms, das der kanadische Hammerflügler Ludwig Semerjian für seinen Soloabend am Donnerstag im Musikinstrumentenmuseum zusammengestellt hat, stehen Schuberts späte drei Klavierstücke und die unvollendete „Reliquie“-Sonate. Das Instrument, das Semerjian spielt, ist dabei selbst sozusagen eine Reliquie: Es handelt sich um den historischen Brodman-Flügel Carl Maria von Webers, an dem der „Freischütz“ entstand.

Jörg Königsdorf

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