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Kultur: Licht an, Licht aus

Stille, Schweigen, Leere: Die Frankfurter Schirn widmet sich dem Nichts in der Kunst

Weiß gähnt das Blatt Papier – und füllt sich nicht. Der Albtraum des Autors ist die Schreibblockade. Man starrt und starrt, aber die Wörter bleiben aus. Ein mythisches Objekt: das weiße Blatt.

„1000 Hours of Staring“ hat der Amerikaner Tom Friedman seine Arbeit genannt, deren Entstehungszeitraum er von 1992 bis 1997 angibt. Ein Blatt Papier, das er tausend Stunden angestarrt haben will. Man mag es glauben oder nicht – ins Grübeln kommt man schon. Über ganz praktische Dinge wie: Hat er das Blatt durchgehend angestarrt? Gab es feste Zeiten für die Übung? Wie lange sind überhaupt tausend Stunden?

Weitergehend philosophiert man vielleicht über Inspiration und warum sie manchmal ausbleibt, über das, was dem Künstler wohl durch den Kopf geht, bevor er den Stift in die Hand nimmt oder über die romantische Idee vom Künstlergenie, das auf Inspiration wartet. Und darüber, ob man nicht gerade selbst zum Künstler wird, während man auf das weiße Blatt starrt, und starrt, und starrt.

Der Sog der Leere, kurz: das Nichts. In der Frankfurter Schirn-Kunsthalle steht es im Zentrum einer Ausstellung, die in aufgeregten Zeiten ein Rücksichtsort sein will, ein Raum der Kontemplation, gern auch, wie Museumschef Max Hollein es formuliert, eine „Zumutung“.

Schon die drei Freunde in Yasmina Rezas Kultstück „Kunst“ haben sich über ein leeres Bild entzweit. Doch nicht immer ist es das Eingeständnis des Scheiterns oder der magische Moment vor der Entstehung des Bildes. Oft genug geht es auch um gezielte Verweigerung. Bilder stürmen von allen Seiten auf uns ein. Da ziehen sich die Bildermacher gern ins Nichts zurück. „Art + Language“ zum Beispiel, das seit 1966 existierende britisch-amerikanische Künstlerkollektiv, reklamieren den Blick aufs Bild als Exklusiv-Recht: „Der Inhalt dieses Bildes ist unsichtbar; die genaue Art des Inhalts und seine Maße werden permanent geheim gehalten; nur Ian Burn kennt sie“, steht neben einem komplett schwarzen Bild. Der Betrachter bleibt außen vor, ebenso wie bei John Baldessari, der mit Schwarz auf weißer Leinwand verheißt: „Alles ist aus diesem Gemälde getilgt – bis auf die Kunst. Keine Ideen sind in diese Arbeit eingangen.“

Die Klassiker der Konzeptkunst spielen mit der Spannung zwischen Ding und Inhalt: Nichts als Stille ist auch das Schweigen – Joseph Beuys stellt fünf verzinkte Filmrollen von Ingmar Bergmans Drama „Das Schweigen“ in den Raum. Imi Knoebel hängt einen Bilderrahmen leer an die Wand. Nam June Paik lässt ein Testbild über den Bildschirm flimmern – Zen fürs Fernsehen. Martin Kippenberger bindet ein Buch aus unberührten Blättern. Und der unvermeidliche John Kosuth spielt mit der Doppelbedeutung von „Paintless“: farblos oder unmalbar?

Der Siegeszug der Abstraktion kann am Ende zur völligen Aufhebung führen. Begonnen hatte es 1915 mit Malewitschs „Schwarzem Quadrat“, reine Form, dazu die Nichtfarben Schwarz und Weiß. Der Weg führt weiter, bis zum Extremkünstler Ad Reinhardt, der „Letzte Bilder“ malt, eins nach dem anderen, alle schwarz. Das Ende der Darstellbarkeit – der Kunstkritiker Harald Rosenberg hat es in einem überlieferten Bonmot wunderbar auf den Punkt gebracht: „Newman schloss die Tür, Rothko zog die Rolladen herunter, und Reinhardt löschte das Licht.“

Das Licht ist wieder an, in Frankfurt, in den strahlend weißen Ausstellungsräumen der Schirn, in denen man weiße Bilder vor weißer Wand sieht oder manchmal auch gar keine Bilder mehr, wie bei Karin Sander, die einfach ein Stück weiße Ausstellungswand poliert, bis sie sich glänzend abhebt von dem rauen Putz drumherum. Oder, in einer anderen Arbeit, einzig die Bildtitel stehen lässt, und den Platz darüber leer. Für „Zeigen. Eine Audiotour durch eine Privatsammlung in Reykjavik“ lässt sie 34 Künstler ihr (nicht sichtbares) Werk beschreiben – oder eben nicht. Gerold Miller führt den Besucher in die Kreuzberger Lackwerkstatt, in der seine Arbeit hergestellt wird, Heimo Zobernig beschwört in einer spiritistischen Sitzung den Geist von Duchamp, John Bock wohnt einem Boxkampf bei, Lawerence Weiner zählt Kartoffeln, Mona Hatoum singt ein Lied, Florian Slotawa joggt durchs Museum und Elmgreen + Dragset husten verlegen. Nichts an der Wand? Keine Spur. Nur eine Verlagerung der Wahrnehmung vom Auge zum Ohr. Das ist nicht nichts, sondern viel.

Der Rest ist Fantasie – und Poesie: die neun Schneeflocken, die Spencer Finch auf einem Blatt Papier einfängt, ein anderes Blatt, das er einen ganzen Tag lang dem Sonnenschein aussetzte, ein drittes, auf dem alle Spuren künstlerischer Betätigung sorgfältig ausradiert sind und schließlich ein letztes, mit für das menschliche Auge nicht fassbaren Farbtönen versehen – die Grenzen der Wahrnehmung funktionieren als Türöffner der Fantasie. Und dahinter liegen Welten, die man manchmal nie erreicht: ein unsichtbarer Kubus zum Beispiel, den der in Berlin lebende Däne Jeppe Hein in einen Raum stellt. Übertritt der Besucher die imaginäre Grenze, ertönt Alarm: Zurückbleiben, bitte. Ein leuchtender Streifen, den Christine Kozlov unten auf eine Tür projiziert, verheißt viel, doch dahinter ist nichts. Hier ginge man gern weiter, wünschte sich Dan Flavin herbei, oder Spencer Turrell, die mit ihren Lichtinstallationen mystische Welten öffnen.

Doch die Künstler in Frankfurt bleiben eher beim augenzwinkernden In-FrageStellen. Etwa der Turner-Preisträger Martin Creed, der in „Work No. 401“ über eine Lautsprecherbox ein lakonisches „Pffft“ in den Raum schickt. Auch das ist nicht nichts. Aber doch etwas wenig.

Nichts. Schirn, Frankfurt, bis 1. Oktober. Katalog (Hatje Cantz) 24,80 Euro

Christina Tilmann

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