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Eine Ausstellungsansicht von "Mary Bauermeister - Memento Mary" bei Grisebach.

© Roman März / Courtesy Mary Bauermeister / Grisebach

Mary Bauermeister bei Grisebach: Licht und Laken

Sie interessiert sich nicht für Normen. Grisebach widmet der Fluxus-Pionierin Mary Bauermeister und ihrem rätselhaften Universum eine Schau.

In Mary Bauermeisters Welt ergibt eins plus eins nicht zwei. Dabei hätte die gebürtige Frankfurterin Anfang der fünfziger Jahre eigentlich Mathematik studieren sollen. Stattdessen schrieb sie sich an der Kunsthochschule ein, schließlich verkörperte Kunst für sie das Gegenteil einer definierten Wissenschaft. Sie wollte an Dinge glauben, die sich nicht beweisen ließen. An Farben, die sie nicht mischen, sich aber in Gedanken ausmalen konnte.

Irisierende Farbtöne sind auch das Erste, was auffällt, wenn man durch das Fenster von Grisebach blickt. Bauermeisters geschliffene Glaslinsen hängen wie überdimensionale Regentropfen an der Scheibe und brechen das Sonnenlicht. Sie markieren den Übergang in einen anderen Kosmos. Nachdem drei ihrer Arbeiten in der vergangenen Herbstauktion die Taxe knapp verdoppelten, widmet das Haus der Künstlerin nun eine Retrospektive. „Memento Mary“ lautet der Ausstellungstitel, ein Wortspiel, das vermuten lassen könnte, dass Baumeister hier posthum gewürdigt wird. Aber das ist falsch. Die 83-Jährige arbeitet immer noch: In der Nähe von Köln sind viele neue Werke entstanden, die an alte Motive anknüpfen. Einen Großteil der über dreißig ausgestellten Arbeiten hat sie als Leihgaben zur Verfügung gestellt, der Rest steht zum Verkauf. Darunter auch eine Neuauflage jener Spiralen aus geschliffenen Kieselsteinen, mit denen sie in den Sechzigerjahren berühmt wurde (18 000 Euro).

Das Unperfekte sichtbar machen

Als sie damals Künstler wie John Cage zu experimentellen Performances in ihr Kölner Atelier einlud, war bereits klar, dass sie sich nicht für Normen interessierte. Ihre Wohnung wäre heute wohl der am besten besuchte Projektraum der Stadt. Als Geburtsstätte der Fluxus-Bewegung ist der Ort in die Kunstgeschichte eingegangen. Bauermeister als Gastgeberin in einer von Männern dominierten Avantgardebewegung zu sehen, würde ihr nicht gerecht werden. Früher als andere erklärte sie die Natur zu ihrem Material und brach die Genregrenzen auf. Sie experimentierte mit geflickten Bettlaken, die sie auf Leuchtkästen aufzog. Ihre „Lichttücher“ sollten das Unperfekte sichtbar machen. Obwohl die Werke als „Weiberarbeit“ abgetan wurden, merkte Baumeister, wie stark ihre Arbeit die männlichen Kollegen beeinflusste.

Die legendäre Fluxus-Künstlerin Mary Bauermeister bei der Eröffnung ihrer Ausstellung im Frauenmuseum in Bonn 2012.
Die legendäre Fluxus-Künstlerin Mary Bauermeister bei der Eröffnung ihrer Ausstellung im Frauenmuseum in Bonn 2012.

© dpa / picture-alliance

Man hätte sich mehr Platz für die Arbeiten gewünscht

Man hätte sich nicht gewundert, wenn ihre Textilstücke neben Sheila Hicks’ Ballen aus Garn auf der diesjährigen Biennale zu sehen gewesen wären. Deutschland tat sich lange schwer mit Bauermeister, seit einigen Jahren wird sie auch hier wiederentdeckt, was nicht zuletzt an ihrer früheren Beziehung, der Ménage à trois mit dem Komponisten Karlheinz Stockhausen und dessen Ehefrau liegt, über die sie 2011 ein Buch veröffentlichte. Gemeinsam mit Stockhausen zog sie in den Sechzigern nach New York, wo man sie feierte. Dort wurden ihre „Linsenkästen“ erstmals präsentiert, die zusammenfassen, wie Bauermeister die Welt sieht. Kleine Holzboxen füllte sie mit Lupen, Zeichnungen und Wortspielen. Mikro- und Makrokosmos fallen zusammen, alles steht Kopf und erlaubt dem Betrachter, sich in Details zu verlieren.

Auch wenn die Räume bei Grisebach voll wirken und man sich mehr Platz und Licht für die Präsentation und Wirkung der Arbeiten gewünscht hätte, ist der Blick in Bauermeisters rätselhaftes Universum gelungen. Tritt man nah an einen der „Linsenkästen“ heran, wird eine Gleichung neu aufgelöst: 1 + 1=3. Bauermeister, so kann man es sehen, setzt nochmal eins drauf.

Grisebach, Fasanenstr. 27; bis 26.8., Mo–Fr 10–18 Uhr, Sa 11–16 Uhr

Laura Storfner

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