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Kultur: Lichtfontänen

Dianne Reeves singt im Kammermusiksaal

Von Gregor Dotzauer

Einen Moment lang könnte man sich fragen, ob Dianne Reeves noch ganz von dieser Welt ist oder ob das, was sie mit ihrer Stimme anstellt, nicht Lichtfontänen sind, die aus einem Astralleib schießen. Wie sie sich aus den Tiefen ihres schwarzen Alts ins Falsett katapultiert, wie sie vom Growl in sich einschmeichelndes Wispern verfällt und vor allem: wie sie mit der linken Hand in Zwerchfellhöhe Töne schaufelt, die sie in hymnischen, mehrere Oktaven durchmessenden Scat- Kantilenen aufglühen lässt – das gehört einer Wirklichkeit an, die auch einen leblosen Ort wie den halb besetzten Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie binnen Sekunden verwandelt. Von der Einsamkeit eines großstädtischen Bartresens zum Ritualplatz eines apokryphen afrikanischen Stammes ist es für Dianne Reeves nur ein Schritt.

Die 51-jährige Sängerin aus Denver, Colorado, ist so ziemlich die strahlendste Erscheinung, die man auf Jazzbühnen zurzeit bewundern kann. Womit alle Fragen nach der Gefälligkeit ihrer Arrangements erst einmal in den Hintergrund rücken. Gershwins „Our Love Is Here to Stay“ kommt auf Romero Lubambos Gitarre als leiser Bossa Nova herangeschaukelt und tobt als brasilianisches Gewitter davon. Johnny Mercers und Harold Arlens „One for My Baby (And One More for the Road)“, die ins Morgengrauen hineingejammerte Trauer über eine verflossene Affäre, verwandelt sich bei ihr in einen lebensbejahenden, saftigen Blues. Und die bittersüßen Fallsequenzen von Michel Legrands „Windmills of Your Mind“ lädt sie mit einer tragischen Grandezza auf, die von Dusty Springfield bis zu Sting noch niemand entdeckt hat.

Dianne Reeves ist eine Königin der Coverversion – und mit ihrer Band (Reuben Rogers am Bass, Antonio Sanchez am Schlagzeug und Peter Martin am Klavier) weniger dabei, die Standards des Great American Songbook gegen den Strich zu bürsten, als ihnen die Bedeutung zurückzugeben, die sie von Anfang an hätten haben müssen. Ihr neues Album „When You Know“ (Blue Note) enthält mit „Today Will Be a Good Day“ denn auch nur eine einzige Originalkomposition. „Love, peace and joy“, wünscht sie zum Ende. Und: „Barack Obama!“ Zumindest über die Erfüllung dieses Wunsches muss man sich nach diesem Konzert keine Sorgen mehr machen. Gregor Dotzauer

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