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Der israelische Filmemacher Amos Gitai, im Wettbewerb in Venedig mit seinem Film "Rabin, The Last Day" vertreten.

© AFP

Lido-Lichtspiele (5): "Rabin, The Last Day": Als Israels Hoffnung mal wieder starb

Amos Gitais Doku-Fiction „Rabin, The Last Day“ beeindruckt beim Filmfest Venedig gerade wegen seiner Nüchternheit, mehr noch als andere politische Wettbewerbsbeiträge

Zwanzig Jahre ist es her, dass Israels Premierminister Yitzhak Rabin ermordet wurde, bei einer Friedenskundgebung in Tel Aviv am 4. November 1995. Der jüdische Rechtsextremist Jigal Amir feuerte drei Mal aus nächster Nähe auf ihn und wurde sofort verhaftet.

Der israelische Filmemacher Amos Gitai hatte Rabin schon bei den Verhandlungen um das Oslo-Abkommen mit der Kamera begleitet. Nun ist der 64-Jährige in jene Zeit zurückgekehrt, als Rabin mit Yassir Arafat um eine friedliche Koexistenz der Juden und Palästinenser rang und Frieden im Nahen Osten möglich schien. Gitais Doku-Fiction „Rabin, The Last Day“ wühlt das Publikum beim 72. Filmfest Venedig gerade wegen seiner Nüchternheit auf, mehr noch als die anderen politischen Wettbewerbsbeiträge über afrikanische Kindersoldaten, die Gewalt in Südafrika oder im Argentinien der achtziger Jahre.

Gitais Re-Enactment mit Archivaufnahmen, Interviews und nachinszenierten Szenen basiert auf den Protokollen der Schamgar-Kommission. Auf dem King’s Square herrscht Chaos, der Weg von der Tribüne zu Rabins Wagen ist frei zugänglich, auch für den Attentäter. Die Polizei schreibt die Verantwortung dem Sicherheitsdienst zu, der sie wiederum auf die Polizei schiebt. Rabins Fahrer wird ausgerechnet an diesem Tag nicht über eine Notfallroute zur nächsten Klinik informiert. Eine Spur führt zum Geheimagenten Avishai Raviv, aber Gitai darf sie nicht verfolgen. Jeder Satz im Film ist belegt.

„Rabin, The Last Day“ nährt keine Verschwörungstheorie, im Gegenteil

Trotz all dieser irritierenden Details nährt „Rabin, The Last Day“ keine Verschwörungstheorie, im Gegenteil. Der zweieinhalbstündige Film enthüllt keine Geheimnisse, er stellt nur einen Zusammenhang her zwischen den sicherheitstechnischen und den politischen Umständen des Mords, der hochaggressiven Stimmung im Land und dem von religiösen Fanatikern wie politischen Führern genährten Hass auf Rabin.

Auch das ist verbürgt. Der Film zeigt, wie der 25-jährige Mörder religiöse Versammlungen besucht, bei denen die Rabbis den Premier wegen der Räumung des Gazastreifens des Verrats an Gottes Volk bezichtigen, ihn nach der orthodoxen Regel „Din Rodef“ verfluchen: Ein Jude, der das Leben anderer Juden gefährdet, darf getötet werden. Amir sieht sich zudem im Recht, weil Oppositionsführer Netanjahu bei Likud-Protestkundgebungen jene Demonstranten gewähren lässt, die Plakate mit Rabin in Gestapo-Uniform tragen und ihm den Tod wünschen. Gitai zeigt auch einen Ausschnitt aus jener Knesset-Versammlung, bei der Netanjahu Rabin wüst beschimpft, als der Premier zu deeskalieren versucht. Ja, die Ermordung des Friedensnobelpreisträgers war ein Komplott, geschmiedet in aller Öffentlichkeit.

Der Tag, an dem in Israel die Hoffnung starb – eine kitschige Formel. Gitai entkleidet sie zur Kenntlichkeit. Gut möglich, dass die Lage heillos geblieben und das gespaltene Israel in einen Bürgerkrieg geschliddert wäre. Oslo war eine verzweifelte Hoffnung, eine winzige Chance. Aber die größte, die Israel hatte. Die Männer, die den Mord ermöglichten, sagt Amos Gitai, sind immer noch da. Manche von ihnen sind an der Macht.

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